Verfasst von: Manuel | 03.02.2011

Game Forum Germany 2011

Am 27. und 28. Januar 2011 fand das fünfte Game Forum Germany im Künstlerhaus Hannover statt. Die von Nordmedia und dem BIU veranstaltete Konferenz bringt Entwickler und Publisher von Computerspielen aus ganz Deutschland zusammen und bietet dabei ein Programm aus international relevanten Referenten.

Als ich erfuhr, dass eines meiner großen Vorbilder Ron Gilbert einen Vortrag über eines meiner frühen Lieblingsspiele Maniac Mansion auf dem diesjährigen GFG halten würde, wusste ich, dass ich mich um Zutritt zu der hannoveraner Konferenz bemühen sollte. Die Erbauer der Welten seiner Kindheit zu treffen hat man nicht oft Gelegenheit und hochinteressant versprach sein Vortrag ohnehin zu werden.

Ron Gilberts Vortrag über Maniac Mansion

Twenty-five years ago today: Gamedesignstar Ron Gilbert referierte auf dem GFG über seine erste Adventureentwicklung

Die Organisation des GFG hat noch sehr viel Verbesserungspotential. Trotz Bestätigungsmail für meine Anmeldung stand ich nicht auf der Teilnehmerliste. Der Programmbeginn verschob sich um eine halbe Stunde, weil die meisten Besucher des ersten Tages erst kurz vor knapp kamen und die Akkreditierung sich entsprechend hinzog. Das ausgehängte Passwort für das W-LAN war ziemlich egal, weil die Signalstärke nirgendwo auf der Konferenz für eine Verbindung über die Anmeldung hinaus ausreichte – zudem standen weder im Vortragssaal noch im Foyer Steckdosen zur Verfügung. Auf einer Konferenz für bis zu 350 Teilnehmer (die allerdings sicher nicht erreicht wurden) alle Vorträge in einem einzigen Saal stattfinden zu lassen, der nur 150 Sitze hat, brachte vorhersehbare Kapazitätsprobleme. Die grauenhaft schlechte Moderation lässt sich noch damit entschuldigen, dass der eigentliche Moderator krank und durch Eku Wand vertreten werden musste, aber konnte man wirklich niemanden dafür finden, der wenigstens genug von der Gamesbranche weiß, um über Ron Gilbert – den prominentesten Redner der Konferenz – überhaupt irgendwas sagen zu können?
Sehr positiv verbuchen kann man die ausgezeichnete und ausgezeichnet kostenlose Verpflegung sowie zahlreich ausliegende Branchenzeitschriften, mit denen sich Wartezeiten wunderbar überbrücken ließen.

Das Grußwort sprach gegen 10:35 der niedersächsische Staatssekretär für Wirtschaft Oliver Liersch. Wie völlig egal und wohl eher unangenehm der Politik Computerspiele immer noch sind, erkennt man daran, dass niemand vom Kulturressort, niemand aus der Bundespolitik und selbst vom Land Niedersachsen nicht einmal ein Minister selbst Interesse an einer fünfminütigen Rede vor den kreativen Köpfen der Branche hatte.
Liersch fühlte sich auch sichtlich unwohl, nannte in seiner sehr holperigen Rede aber die Gamesbranche wirtschaftlich wichtig und Deutschland eine der Keimzellen namhafter Entwicklung.
Spiele erkannte er richtig als ein Medium mit narrativer Innovationskraft, sie erzählten Geschichten auf neuartige Weise – ein angemessener Blickwinkel, den die meisten Sprecher sehr kurz kommen ließen.

Um das Programm übersichtlich zu bewerten, vergebe ich mal Punkte in Interessantheit und Qualität: Ersteres ist ein eher subjektives Maß dafür, wieviel relevante Neuigkeiten eine Veranstaltung zu bieten hatte, letzteres eine Bewertung des Vorträgers für seine Fähigkeit, seine Inhalte tauglich zu vermitteln.

Martin Jörg Schwiezer: AAA Development in Germany – an overview with critical outlook
Interessantheit: 4/5
Qualität: 3/5

Ab 10:55 warf Martin Jörg Schwiezer von Black Lion Entertainment einen sehr desillusionierten Blick auf den Zustand der deutschen Spielebranche: Viele neue interessante Subbranchen ließen sich verzeichnen, große Zuwächse werden überall vermeldet, aber die Entwicklung von „Triple-A-Titeln“ stagniert. Während Deutschland Jahr für Jahr zu den Top 5 Absatzmärkten weltweit zählt (die anderen sind USA, Japan, Großbritannien und Frankreich), ist unter den weltweiten Top 100 Entwicklerstudios kein einziges deutsches zu finden.
Als Problem machte Schwiezer den großen Konflikt um Gewaltdarstellungen aus. Große Spieletitel würden epische Geschichten brauchen, Epische Geschichten nicht ohne starke Gewaltdarstellungen auskommen, Gewaltdarstellungen im Vergleich zu äquivalenten Filmdarstellungen viel zu streng bewertet (so wurde „Silent Hill“ 1999 ursprünglich in Deutschland indiziert, nach Nachbesserungen noch gerade „ab 18“ freigegeben, die visuell ebenfalls brutale Verfilmung ist jedoch FSK 16 – „Triple-A-Titel“ hätten also nicht einmal hollywood-ähnliche Gewaltdarstellungen zur Verfügung).
In Deutschland (und ja nur hier) wird „Killerspiel“ kritiklos als Stigmabegriff verwendet, eine Definition bleibt aber weiterhin aus, was den Begriff extrem problematisch macht. Deutschland beherberge eine kulturelle Opposition gegen das Thema, trotz einer völlig unklaren Bergriffslage.
Investoren sind demzufolge (und auch wegen der politischen Situation) skeptisch gegenüber deutschen Entwicklern, zudem habe der Investmentboom anfang des Jahrhunderts, bei dem viel Geld ausgegeben und nur wenige Spiele fertiggestellt wurden, vertrauensmäßig verbrannte Erde hinterlassen.
Selbst im deutschen Maßstab gäbe es daher weniger als 10 Triple-A-Studios. Zusätzlich zur instabilen Wirtschaftslage führt das zu einer schlechten Ausbildungssituation, die wiederum keinen guten Nachwuchs heranzieht. Junge Nachwuchsentwickler, die sich derart schlecht gefördert sehen, wandern daher oft ins Ausland ab, wodurch die deutschen Entwickler wiederum schwächeln und von der internationalen Konkurrenz verdrängt werden, was den Nachwuchs weiter motiviert, abzuwandern: Ein Braindrain-Teufelskreis.
Schwiezer konstatierte, es werde in der Sache nicht agiert, obwohl Deutschland praktisch schon abgehängt ist.

Obwohl seine Argumentation betreffs der viel zu scharfen Jugendschutzbestimmungen unehrlich ist (Filme sind ja viel kürzer als Computerspiele und man ist als Rezipient auch schwächer eingebunden – die dagegen oft herangezogene Katharsis-Theorie gilt als widerlegt; zudem sind Topseller zwar oft „episch“ und gewalttätig, aber die Gegenbeispiele („The Sims“ anyone?) sind längst mehr als Ausnahmen), sind seine Thesen an sich grundsolide. Und das Problem ist ein sehr groteskes und vermutlich auch grunddeutsches: Games haben ein Akzeptanzproblem, wie es wohl in keinem anderen westlichen Land besteht. Als Hobby „Computerspielen“ anzugeben ist immer noch anrüchig und als Teil der Kultur bleibt das Medium randständig. Dass hieraus große Hindernisse für deutsche Spieleentwicklung erwachsen, erscheint naheliegend.

Ron Gilbert: The making of Maniac Mansion: The point-and-click adventure that started it all
Interessantheit: 3/5
Qualität: 4/5

Die größte Füllhöhe der Konferenz erreichte der Vortragssaal zum 11:30 beginnenden Vortrag von Ron Gilbert. Den Stardesigner selbst über sein erstes Adventure reden zu sehen gab höchst spannende Einblicke, insbesondere aus der heutigen Perspektive (wie er in Anspielung auf das Maniac-Mansion-Intro sagte: „25 years ago today“).

Ron Gilberts Vortrag über Maniac Mansion

A very flawed game: Der Vortrag über Maniac Mansion durch dessen Designer Ron Gilbert war der meistbesuchte auf der hannoveraner Konferenz

Ron Gilbert nannte sein Spiel ein „very flawed game“ und führte das insbesondere auf die vielen Sackgassen zurück, in die der Spieler geraten konnte. Im Gegensatz zu vielen anderen Adventures waren diese in „Maniac Mansion“ aber offenbar ein Resultat einer sehr bewussten Designentscheidung: Man wollte dem Spieler Aktionen ermöglichen, auf die zu kommen nahe liegt, auch wenn sie nicht bei der Lösung helfen. Dadurch, dass SCUMM ein sehr einfaches Scripting neuer Aktionen ermöglichte, wurden „Wouldn’t it make sense to be possible“-Zusammenhänge schnell eingebaut, ohne sicherzustellen, dass sie das Spiel nicht unwinnable machen.
Das erhoffte Post-Mortem war Ron Gilberts Vortrag leider nicht, sondern eher eine Anekdotensammlung mit zwar spannenden Einsichten aber wenig wirklich unbekannten Fakten (zum Beispiel, dass das Horrorhaus-mit-außerirdischem-Meteor-Thema durch den Steven-King-Film „Creepshow“ inspiriert wurde, während Sierras „King’s Quest“ Gilbert die Idee gab, das ganze als Grafikadventure durchzusetzen).
Dass ich womöglich einer von ganz wenigen war, die den Vortrag so erlebten, zeigt, dass im Anschluss und auch außerhalb des Vortrags Fragen zum Thema aufkamen, die in der Wikipedia beantwortet werden oder mit einer einfachen Googlesuche zu klären wären, obwohl die Anwesenden eigentlich alle technikaffin gewesen sein müssten. So beantwortete Ron Gilbert sicher zum 23708546. Mal (dafür aber sehr gelassen und souverän) die Frage nach der Kettensäge in der Küche des Tollhauses.
Allerdings neu waren Gary Winnicks Konzeptzeichnungen, mit denen der Designer seinen Vortag untermalte und die den Designfortschritt interessant dokumentierten – insbesondere vor dem Hintergrund der doch recht beschränkten Grafik, die das Spiel letztlich bot. Überhaupt thematisierte Ron Gilbert mehrfach den technischen Fortschritt: Das Scrolling durch den großen Speisesaal nahm tagelange Programmierarbeit in Anspruch, lässt sich heute aber allein mit Powerpoint bewerkstelligen. Während der Entwicklung von „Monkey Island 2“ wurde die Fertigstellung der Rapp-Scallion-Wiederbelebungsanimation zum Anlass einer kleinen Feier, weil ihre 380 kb Größe ganz allein die gesamte Datenmenge von „Maniac Mansion“ (zwei Diskettenseiten a 160 kb) überschritt.
Angesichts der großen Schwierigkeiten, in die die Entwicklung des Adventurehits unvorhergesehen geriet, konstatierte Ron Gilbert, dass man auch nicht zuviel analysieren und von dem, was man macht, zu verstehen versuchen sollte: „Sometimes it really is important to just be too stupid to know that it can’t be done.“
Sein Ex-Kollege Noah Falstein erkannte das an.

Mike Acton: Gamedev: It doesn’t have to s**k
Interessantheit: 3/5
Qualität: 2/5

Mike Acton versuchte ab 12:25 Erkenntnisse darüber zu produzieren, wie man Spieleentwicklung verbessern kann, und eigentlich gäbe es dazu spannende Diskussionen zu halten. Actons Ansatz ging aber eher in Richtung Workshop und war dabei sehr inhaltsarm und dröge. Verwertbare Tipps blieben spärlich und der Programmpunkt damit ein Lückenfüller vor der Mittagspause.

Ryan Challinor: Developing Gesture Based UI navigation Using Kinect
Interessantheit: 5/5
Qualität: 5/5

Ryan Challinor präsentierte nach der Mittagspause einen der Überraschungsknaller der Konferenz. Der UI Programmierer von Harmonix Music Systems gewährte tiefen Einblick in den innovativen Entwicklungsprozess der Menüführung von Dance Central. So langweilig das klingt, ist es ein ungeheuer spannender Vorgang gewesen, denn die Menüführung funktioniert ohne Eingabegerät ausschließlich über Körpergesten – da es hierfür kaum Vorbilder, geschweige denn Konventionen, gibt, durchlief die Entwicklung hierfür viele Prototypen vieler völlig neu entstandener Ideen.
Ryan Challinor konnte nicht nur äußerst erhellende Erkenntnisse vermitteln, er verstand es auch, das Medium Vortrag dafür prima zu nutzen: Gestikulierend demonstrierte er beim Reden, wie die Idee, von der er jeweils gerade sprach, funktionierte und woran sie krankte.
Die drei interessantesten Lehren, die er aus dem skizzierten Designprozess zog, lauten: Auch Prototypen brauchen Polishing, wenn man in unbekannten Bereichen arbeitet, da es schwierig ist, unfertiges Design von schlechtem Design zu unterscheiden. Prototypen-Programmierer müssen zugleich Designer sein, weil für unerforschte Gebiete keine verlässlichen Begrifflichkeiten bestehen, über die ein Designer einem Programmierer seine Ideen vermitteln kann. Die neuen Eingabemethoden verhindern, dass Entwürfe klare Konzepte kommunizieren können, daher darf man über neue Ideen nicht reden, man muss Prototypen bauen (Gestensteuerung etwa lässt sich auf Papier schwer vermitteln).

Mary-Margaret Walker: Game Career Enlightenment
Interessantheit: 0/5
Qualität: ?/5

Nunja. Es gibt gewisse Marker für das, was man im Volksmund „Gefasel“ nennt. Einer davon ist, für altbewährte, neutrale Begriffe wie „Berufsweg“ Ungetüme wie „Career Enlightenment“ zu verwenden.
Zugestanden, Mary-Margaret Walker ist amerikanische Betriebsberaterin. Aber dass ich mir ihren Vortrag trotzdem nicht angesehen habe, werfe ich mir auch im Nachhinein nicht vor.

Paneldiskussion mit Tobias Berlin, Peggy Beschnitt, Thomas Dlugaiczyk, Christian Kluckner und Mary-Margaret Walker: Talent Recruitment
Interessantheit: 2/5
Qualität: 2/5

Nach der Kaffeepause widmete sich die einzige Podiumsdiskussion des GFG der anderen Seite des Games-Arbeitsmarktes: Dem „Recruitment“. Wechselseitig schob man die Schuld an fehlenden Nachwuchstalenten und der schlechten Vermittlung der vorhandenen den Betrieben, den wenigen Ausbildungszentren wie der Games Academy, dem Staat und der Gesellschaft in die Schuhe und betrieb weitaus mehr Namedropping als Lösungssuche.
Hier lernte ich Mary-Margaret Walker dafür schätzen, mit ihrem amerikanischen Witz das einzige bisschen Lockerheit in diese dröge, lahme Diskussion gebracht zu haben.

Benedikt Grindel, Christopher Schmitz: Cross platform exploitation of high profile brands
Interessantheit: 3/5
Qualität: 3/5

Die beiden Mitarbeiter der Ubisoft-Tochter Bluebyte präsentierten im letzten Programmpunkt des ersten Konferenztages ihre Erfahrungen mit dem Browsergame „Die Siedler Online“ und dem für Facebook entwickelten „Social Game“ „Die Siedler: My City“ und am Rande die mit deren Taufpaten „Die Siedler 7“.
Viel von dem, was mit dem Kulturgut Computerspiele falsch läuft, konnten die zwei Repräsentanten des ehemaligen deutschen Innovationsunternehmens eindrucksvoll demonstrieren – etwa, als sie darlegten, dass sie zu Beginn der Entwicklung ihres Browsergames und ihres „Social Games“ darüber nachdachten, welche ihrer Marken sie ausnutzen könnten, um diese bestmöglich zu verkaufen (wie fast alle war dieser Vortrag auf Englisch, das verwendete Verb war „to exploit a brand“); Computerspieler, die glauben, es ginge um Spielereihen, die sinnvoll weiterzuentwickeln weitere Teile erarbeitet werden: Wundert euch bitte jetzt. Auch gaben die beiden Ubisoft-Zuarbeiter unumwunden an, das „negative Feedback“, dass sie von Fans der „Siedler“-Reihe bekommen, wäre für sie als „gutes Zeichen“ zu werten (Klar: Wessen Ablehnung könnte ein besseres Zeichen sein als das von jahrelangen Kennern und Freunden der Reihe?).
Dass in diesem Vortrag ziemlich oft ziemlich unironisch das Wort „monetize“ benutzt wurde (jedenfalls im Vergleich etwa zu „idea“, „vision“, „develop“ u.Ä.), sagt sicherlich auch etwas aus, reiht sich aber in die Konferenz noch einigermaßen unauffällig ein, denn der Begriff scheint so eine Art Lieblingswort ihrer Besucher zu sein. Als Entwickler innovativer, smarter Computerspiele wie den ersten Spielen der „Siedler“-Reihe kann man Blue Byte (oder das, was heute diesen Namen trägt) aber getrost weiterhin als vergessen und begraben verstehen.

David Hellman: The Art of Braid
Interessantheit: 4/5
Qualität: 4/5

Den zweiten Konferenztag eröffnete David Hellman ab 10:00 mit einer visuell sehr ansprechenden Präsentation. Der Grafiker des Indie-Kunstwerks „Braid“ gewährte tiefe Einblicke in die Entwicklung der visuellen Seite des Spiels und brachte mit vielen charmanten Entwurfsartworks vor allem eines zur Erkenntnis: Die Grafikentwicklung war iterativ, das heißt, viele Bilder wurden wieder und wieder (auch grundlegend) überarbeitet. Das ist in einer Branche, in der für solches Vorgehen allenfalls in der Entwurfsphase Budget vorhanden ist, eine Ausnahme. Vielleicht weist „Braid“ auch deshalb eine so ausnehmend großartige Optik auf.

Andrew Walker: Publishers and Developers: Then and Now
Interessantheit: 1/5
Qualität: 0/5

OH GOD WHY DOES IT BURN?!? The pain! The horror! It hurts and stings!
In einer ohnehin schon viel zu powerpointlastigen Umgebung einen drögen Vortrag zu halten, der einerseits fast nur aus langweiligen Zahlen und Fakten besteht und andererseits die meisten dieser Zahlen und Fakten in Textwänden winziger Schriftgröße lustlos an die Leinwand schmiert, gehört mit totaler Missachtung gestraft – gleich, wie wohlwollend die Intention womöglich war.
Hilfe…

Mary Bihr: Evolving role of videogames and films
Interessantheit: 2/5
Qualität: 3/5

Mary Bihr berichtete, 1988 erstmals den Gedanken gehört zu haben, dass Computerspiele eines Tages „as big as films“ sein könnten, und nannte das für jene Zeit eine sehr kühne Idee. Mit ihren stichprobenhaften Jahrvergleichen und Einzelbeispielen (etwa dachte 1989 niemand daran, dass LucasArts hauseigenes Grafikadventure „Indiana Jones and the Last Crusade“ möglichst zugleich mit dem Film erscheinen sollte) illustrierte sie wirkungsvoll den Weg in die Gegenwart, wo jene Vorstellung geradezu banal erscheint: Sowohl Budget als auch Einnahmen der Topseller nehmen sich zwischen Computerspiel- und Filmbereich nicht mehr viel.

Richard Dansky: The Narrative That Date Not Speak It’s Name: Moving Beyond Genre Cliches and Archetypes
Interessantheit: 3/5
Qualität: 4/5

Nach der Mittagspause übernahm der Autor Richard Dansky das Mikrophon, um in sehr unterhaltsamer Weise ausgiebig ein großes Problem des Mediums Computerspiel darzulegen: Es gibt unter den sogenannten „Story Driven Games“ Science-Fiction, Fantasy, Horror. Noir. Pulp Action. Spionagethriller. Kurzum: Das, was man in der Literatur als „Genre“ bezeichnet. Vorgefertigte und nur geringfügig variierende Szenarien, die sich durch fest definierte und wenig flexible Konventionen auszeichnen. Mit diesen Konventionen kann man brechen, man kann sie diskutieren, parodieren, dekonstruieren, aber man muss sich immer zu ihnen verhalten, weil sie eben zum Genre gehören.
Das schränkt Computerspiele auf ein relativ unkreatives Feld von Narrativen ein, das es in Literatur und Film zwar auch gibt, anders als dort aber keine „genrefreien“ Felder neben sich hat. Viele originelle Narrationen sind daher in Computerspielen nicht möglich, weil man sich auf diese Genres beschränkt.
Richard Dansky beschrieb das Problem sehr ausführlich, verständlich und amerikanisch-spaßig, aber seine Analyse blieb sehr blutarm: Narrativen werden verwendet, um Spielmechaniken zu rechtfertigen (und das sei richtig so, da das umgekehrte Entwicklungsmodell regelmäßig sehr wenig ansprechende Spiele produziert). Die Spielmechaniken, die das Medium definieren – Schießen, Zerhacken, Herumturnen, Schleichen, Puzzles lösen etc. – lassen sich auf die Länge, die von Computerspielen regelmäßig eingefordert wird, aber nur durch Genre-Narrativen rechtfertigen: Hunderte von Wachen persönlich erlegen ist etwas, dass man sich kaum leisten könnte, wenn man kein Spezialagent in einem Spionagehauer ist. Entsprechend kurz sprang auch Richard Danskys einziger Lösungsansatz: Um genrefreie Rechtfertigungsnarrativen zu provozieren, müssten Spielmechaniken konstruiert werden, die solche hervorbringen („You must find gameplay whose supporting narrative will be non-cliché.“). Konkrete Vorschläge blieben sowohl seitens des Vorträgers als auch des Publikums (immerhin gut hundert kreative Köpfe aus der Gamesbranche) aus.
Einerseits kann man dem Red-Storm-Mitarbeiter insofern Recht geben, als bereits seit geraumer Zeit ein mächtiger Gameplaysteinbruch brachliegt: Die neuen Eingabemechaniken wie Wiimote, Move-It und Kinect beeindrucken Wirtschafter weltweit damit, neue, nie gesehene Kundenkreise aller Altersgruppen und Milieus zum Tanzen, Singen, Zappeln und Herumhoppeln vor dem Bildschirm zu bewegen. Darauf, dass Entwickler über die „Holy shit, seht mal, die Figur macht genau meine Bewegungen nach!“-Phase hinauskommen und neue Wege konzipieren, Geschichten mit diesen Techniken zu erzählen, warten Narrativisten wie ich aber immer noch vergebens. Hier könnten im Sinne der Aufforderung von Richard Dansky wahre Goldgruben auf ihre Entdeckung warten. Andererseits bin ich generell ein Feind des Inhalt-folgt-Form-Ansatzes, und würde hier ebenso wie bei Literatur, Filmen und Musik eine ganzheitliche Methode vorziehen, in der man nicht eines auf das andere ausrichtet, sondern ein Spiele so entwickelt, das beides einer gemeinsamen Vision folgt. Dass großartige Bestseller aus einem solchen Vorgehen erstehen können, zeigt „Braid“: In Jonathan Blows innovativem Platformer dient die Narrative ebensowenig zur Rechtfertigung der Spielmechaniken wie andersherum – beide folgen vielmehr dem Motiv des Bedauerns, und Gameplay wie Story entwickeln sich Hand in Hand auf Basis dieses Motivs fort. Wie gut das Spiel letztlich gelungen ist zeigt ebenso wie die wohlwollenden Kritiken und der kommerzielle Erfolg, dass das durchaus ein tragfähiges Konzept ist.

Jeff Ward: Data Driven is Half The Battle.
Interessantheit: 1/5
Qualität: ?/5

Der zweite Vortrag der Konferenz, der mich nicht im Ansatz genug interessiert hat, um ihn zu besuchen. Stattdessen habe ich die Zeit lieber genutzt, um mich mit ein paar interessanten jungen Leuten zu unterhalten, die ihre eigenen Perspektiven auf Computerspiele pflegen.

Kamingespräch mit Mary Bihr, Noah Falstein und Ron Gilbert: From then till now – how it all changed from the perspective of LucasArts Entertainment
Interessantheit: 3/5
Qualität: 5/5

Den Abschluss des GFG bildete bis etwa 17:00 das Kamingespräch zwischen drei altgedienten Lucasarts-Veteranen, die aus den Achtzigern, als die Softwarefirma noch Lucasfilm Games hieß, jede Menge unterhaltsamer Anekdoten und witziger Klatschgeschichten zu bieten hatten. Mit soviel Starpower an einem Tisch, bei der noch dazu durch langjährige Zusammenarbeit die Chemie so gut stimmt, ein gut ausgewählter Höhepunkt zum Ende der Konferenz.
Ron Gilbert hatte zwar nicht mehr ganz den guten Vibe, den er noch am Vortag versprühte, aber Noah Falsteins galante Moderation machte das mehr als wett.

Gesprächsrunde mit Mary Bihr, Noah Falstein und Ron Gilbert

Don't ask me about 'Heavy Rain': Mary Bihr, Noah Falstein und Ron Gilbert im Gespräch über ihre gemeinsame Zeit bei Lucasfilm Games

Besonders spannend war die abschließende Fragerunde, zu der Noah Falstein dankenswerterweise sehr offene Themenwahl zuließ. Die vom sonstigen Zurückblicken der alten Hasen interessant wegführenden Fragen entlockten den Diskutanten bemerkenswerte Statements, weshalb ich einen Teil davon hier wiedergebe – außerdem habe ich mit einer (hier der zweiten) Frage höchstselbst Noah Falstein verwirrt!

Asker 1: What are your thoughts on the game „Heavy Rain“?
[ennerved sighing throughout the audience]
Do you think it’s the future of the adventure game genre?

Noah Falstein: Uhm…

Ron Gilbert: I hated „Heavy Rain“.
[hearty applause and cheers from the audience]
I… Yeah, I don’t know anything to say about it other than that. It felt like I was watching a movie and they were just telling me to pause and play, pause and play, pause and play… I really didn’t enjoy it.
I can respect some of the technical things they did. They pulled of some really impressive technical things. But I didn’t like the game and I certainly hope that’s not the future of adventure games.

[…]

Asker 2: What would you say was the most important idea making games made possible for you to find a new way of telling stories – aside from interactivity?

Noah Falstein: The most important idea that helped us tell stories besides interactivity?

Asker 2: Yeah. Like, for example, in „Fate of Atlantis“ there was this point when the story diverged into three different ways…

Noah Falstein: Well, that was actually my contribution and Hal [Barwood], the guy who was the project leader, had to build it. He cursed me a number of times for that.
But eventually, it was the best-selling adventure game. I think I heard that we cleared a million units for that, and I don’t think we were able to clear that many for one of the adventures after that.
So, other innovations: The multi-path thing was interesting, but really, I think we experimented with all sorts of things there…

Ron Gilbert: I think the big change in making adventures for me was „Monkey Island“. And the most interesting thing that enabled me to tell stories were the dialog trees. When we made „Maniac Mansion“, we didn’t have the dialog trees. The characters just said what they were going to say and that was it.
We started playing around with dialog trees when we did „Indiana Jones and the Last Crusade“, but they were still fairly dry and to the point. So when we made „Monkey Island“, it all just completely blew up. In a good way. I can’t imagine the story of „Monkey Island“ being told without those dialog trees, without being able to make Guybrush say one of several funny things. So much of the humor of „Monkey Island“ comes from them.
To me, the great thing about the dialog trees is that somebody can say something on the screen and I can put up four jokes all at once. Every single choice is a joke. You laugh at each one of them. This is a great way to do that. I only have to pick one of them, but I got four jokes out of the whole thing.
So to me, that was the big innovation in storytelling.

Noah Falstein: I would just think a little bit differently, and what I really treasure about that group [that was Lucasfilm Games] and why I, like Ron, since then worked on probably about eight or ten projects and went back and forth to work on these things, was probably because we – not just the two of us, but the whole group of us – developed a technique of analysis and debate, and a very functional one at that. It wasn’t theoretical or academic, we really wanted to make stuff that worked.
So what you’re hearing from him, that process – does this work, why does it work, what’s good about it, what’s bad about it… This is the inventor of the term „cutscenes“ talking about why he didn’t like „Heavy Rain“ because it was too many cutscenes. The point is, just because you can come up with something, it doesn’t mean that you should just do more and more of it. Which unfortunately is the problem of a lot of what I see in the bad games out there.
I have seen that in some of the really good games that I really do like. For example, „Portal“ I think is one of the best games in the last ten years. It worked out in gameplay, in story and humor – which is so rare these days. And having talked to somebody who worked on that, they have a very similar ethic of just constantly iterating discussing of what was working and what wasn’t working.
So that was one of the key pieces for me.

Asker 3: Noah, you’re now into serious games. Is there any chance for us to have you make a project to return to adventures?

Noah Falstein: We have that debate quite a bit and I’m probably about to get lynched here, but I actually think that the reason that adventure games had the big slide that they did was that they’re inherently flawed in a very important way: Every other type of game out there has the ability to star with easy difficulty and ramp it up as you go. It’s possible to do that in adventure games, but you’re hobbled when you design these things, constantly running into trouble because what seems like an easy puzzle to me may be a really tough puzzle for you and adding more puzzles doesn’t make it harder, it can just make it slower.
In fact, Ron and I had this debate about a game that we were trying to build here in Germany at one point, and „Deathspank“ is another example for this: You can take the storytelling and the humor and the things that we loved in those early games that we did and apply them just as well to other game forms where you can have combat enemies which you can very easily gradually increase. But if you are thinking about a puzzle, you either solve it or you don’t. You can maybe break it into pieces but then still either you have a piece or you don’t have it. But in combat, you can just see when you got 80% of the way towards defeating an enemy before you ran out of health, or 90%, or 100%. You can see when you are almost there.
So I actually personally don’t think we should go back to that. I would love to go ahead into the future and take what really worked out and craft it into some new forms. And frankly, I think that’s what we’re all trying to do.

Noah Falstein, der eines der Grafikadventures überhaupt designt hat, hält das Genre deshalb für gescheitert, weil es nicht nachziehen konnte, als alle anderen Genres deutlich ansteigende Schwierigkeitskurven entwickelten und weil es dem Spieler seinen Fortschritt in einzelnen Situationen nicht kommunizieren kann.
Keine unplausible Sicht der Dinge.

Zwei durchaus interessante Tage in Hannover bot das GFG jedenfalls, in denen ich außerhalb des Themas auch wieder feststellen musste, wie großstädtisch Hannover im Vergleich zu Berlin ist: Gleich am ersten Tag bin ich zweimal fast überfahren worden und obwohl ich es gewöhnt bin, dass man sich jedenfalls innerhalb der Gamesbranche konsequent duzt, wurde ich selbst von etwa Gleichaltrigen ständig gesiezt.

Mein Dank geht an flippah, bei dem ich zwischen den beiden Konferenztagen den Abend verbracht habe und über die kommende Hannover-Spielhilfe für Shadowrun diskutieren konnte.

Update Ende März: Nachdem die Videomitschnitte der Konferenz inzwischen hochgeladen wurden, kann man sich in der Mediathek der Nordmedia jede der hier besprochenen Veranstaltungen ansehen. Das abschließende „Kamingespräch“ etwa lässt sich hier herunterladen.

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Antworten

  1. Dieser Bericht zeigt mal wieder, dass die Games Branche voller Idioten ist. Der Autor läster in einer Tour ohne selber Ahnung zu haben. Schade.

  2. Dieser Kommentar ist aus zwei Gründen bemerkenswert:

    1. Kurz vor seiner Abgabe wurde ein Visit über die Suchmaschineneingabe

    christopher schmitz ubisoft game forum germany

    registriert. Zur Stunde produziert Google bei diesem Suchstring als zwölftes Suchergebnis diesen Blogbeitrag.
    Der Vortrag von Benedikt Grindel und Christopher Schmitz von der Ubisoft-Tochter Blue Byte gehört zu den in diesem Artikel eher kritisch kommentierten.
    „Egosurfen“ war eines der Jugendwörter 2010.

    2. Der pseudonyme Verfasser hat weder eine gültige Email- noch Webadresse hinterlassen, jedoch unter einer IP kommentiert, die nahelegt, dass er sich dabei im nordrheinwestfälischen Kaarst aufhielt.
    Der Firmensitz von Blue Byte (und damit der Arbeitsplatz von Christopher Schmitz) befindet sich im von Kaarst rund 14 Kilometer entfernten Düsseldorf.


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