Zu den Mythen unserer Kultur gehört, dass der Fortschritt immer weitergeht und wir uns unaufhaltsam immer fort entwickeln.
Dieses Fortschrittsbild gerät rasch ins Wanken, wenn man sich ansieht, was für teils erhebliche Errungenschaften in der menschlichen Geschichte bereits verloren gingen.
Ich habe mich mit Pierre kürzlich ein wenig über das ganze Themenfeld „verlorene Technologie/Kultur/Wissen“ unterhalten.
Heraus kam ein ganz interessantes Gespräch über diverse untergegangene Erkenntnisse, das hiermit als Podcast vorliegt.
Obacht: Weil hier erstmals Callgraph zum Einsatz kam, von dessen Verwendung ich inzwischen nur abraten kann, ist die Tonqualität schlechter als in den ersten beiden Zivilschein-Podcasts und es gibt einige Tonsprünge, durch die zusammengenommen ein paar Minuten des Eineinviertelstundengesprächs fehlen, teilweise leider mitten in Sätzen.
Unschlüssigen seien als Entscheidungshilfe, ob man sich eine 70-Megabyte-mp3 voller Gefasel runterladen sollte, zwei kurze Anmacher nahegelegt, die ich schon über Twitter verbreitet hatte: Das Outtake „Farcry (Die Amerikaner müssen uns hassen)“ aus dem unbearbeiteten Vorgespräch steht schon seit mitte Januar online, der Teaser „Pfauenfedern (Da werden wir bestimmt verklagt dafür)“ ist ein Auszug aus dem Endprodukt und am Vorabend dieses Artikels entstanden.
Ergänzend zum Podcast eine Liste mit Links zu den angesprochenen Themen:
- Pierres Twitteraccount, seine Suppe, sein Blog und sein anderes Blog
- Der Mechanismus von Antikythera
- TV Tropes über das Motiv „No Plans, no prototype, no backup“ mit ausführlicher „In real life“-Sektion
- Die Pseudowissenschaft Präastronautik diskutiert den Mechanismus von Antikythera auch, ebenso wie auch die Badgad-Batterie
- Konrados Zusos waren weniger Erfolg und Ruhm beschieden als später seinem deutschen Nachfahren
- Die Bagdad-Batterie
- Ein Presseartikel über antike Dampfmaschinen, eine englischsprachige Beschreibung eines Tempeltürenmechanismus‘ und die Aeolipile
- Griechisches Feuer
- Hohlspiegel als antike Waffe
- SpOn-Artikel über den Einsatz von Militärdrohnen in Afghanistan
Stonehenge
- Die Nazca-Linien in der englischen und der deutschen Wikipedia
- Die Reichsflugscheiben und ihr US-Pendant (englischer Wikipedialink)
- Die doch sehr lückenhafte Geschichte des Betons
- Altrömisches Speiseeis
- Wohlwollende Erörterung der Indizierung eines Proana-Blogs auf Spreeblick mitsamt hochinteressanter Kommentardiskussion
- Die Analytical Engine, die William Gibson zu dem Buch
„The Difference Engine“ inspirierte - Steam Engine Time
- Turing-Vollständigkeit hat mit dem Turingtest nichts zu tun
- Der Garten von Versailles hatte doch Pumpen, ebenso wie der Park Sanssouci
Die Bibliothek von Alexandria
- Wiping ist der Grund für das Verschwinden vieler der verlorenen Doctor-Who-Episoden
- „London after Midnight“ und die Restaurationen von „Metropolis“
- Filmpiraterie anno 1919
- Die Unsichtbare Hand
- Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ von 1922
- Abandonware und wie für sie mit dem Erhalt von Kulturgut argumentiert wird, dazu Telepolis über Abandonware, mit Murnaus „Nosferatu“ als Beispiel
- Mit der Erhaltung verfallender Videospiele und ihrer Hardware befasst sich unter Anderem das Computerspielemusem
- „Zombie Nation“, das Spiel, in dem man als fliegender Kopf Hochhäuser zerschießt
- „Bubble Bobble“ und eine kurze Zusammenfassung der Geschichte um dessen verlorenen Quellcode
- GeoCities, das beliebte Webhosting-Programm aus den Neunzigern, das 2009 mitsamt allen gehosteten Websites eingestellt wurde und das von mir „Blablablacities“ genannte Projekt OoCities, das GeoCities-Websites präserviert (was dann zum Beispiel so aussieht)
- Der Umsonstladen in der Dresdner Neustadt
- Link Rot
- Twimemachine archiviert die letzten 3200 Tweets jedes Twitterers
Für entfernteres Lesen empfehlen sich die beiden Cracked.com-Artikel über sechs wichtige Dinge, die die Menschheit ganz einfach vergessen hat und sieben wahnsinnig fortschrittliche Waffen, die die Geschichte irgendwie vergessen hat.
Aus ersterem Artikel könnte dem geneigten Zivilscheinleser die Große Hecke von Indien bekannt vorkommen.
Ergänzungen, Korrekturen, Anmerkungen und Diskussionsbeiträge sind wie immer ausdrücklich erwünscht und können gern in die Kommentare.
[…] ZivilscheinCast #3: Lost Technology [mp3, 68MB] […]
By: Was gab’s, was gibt’s? × Gruselgrotte.de on 11.02.2011
at 00:17
Die erwähnte DeepLink-Sammlung ist übrigens „Der große Internetführer für Schüler. Die besten Adressen für alle Fächer. Spitzenzensuren durchs Internet“ (jansen/dick 2000, isbn 3-625-15025-5), und DIY-Flugzeuge gibt’s hier aufgelistet: http://en.wikipedia.org/wiki/First_flying_machine#19th_century
By: henteaser on 11.02.2011
at 01:23
Vielen Dank, das war sehr unterhaltsam. Interessant fand ich einen Aspekt relativ zu Beginn: Die Griechen, die die Dampfmaschine erfunden haben und schlicht nicht wussten, was sie nun damit anfangen sollten. Heute scheint mir nämlich kaum noch erfunden zu werden, sondern auf ein bestimmtes Ziel hin zu entwickelt. Das ist auch logisch, die „einfachen Dinge“ sind durch, in heutige Ingenieursleistungen muss zunächst viel investiert werden. Aus Spaß wird nichts mehr gemacht.
Daraus entsteht eine Art Luxusproblem: Es erscheinen oftmals nur noch Dinge, die einen Zweck bestimmten erfüllen und sich grundsätzlich in ihrem Verwendungsraum nicht erweitern lassen. Aus einem anderen Grund als bei den Griechen entsteht dadurch kulturelle Langeweile. Und hier greift dann eben die Kultur, die vielleicht erst daraus wirklich entstanden ist, nämlich die Zweckentfremdung. Gegenstände werden aus ihrem eigentlichen Sinn herausgeholt und neu definiert. Man denke nur an den Hack von Xbox Kinect. Der Motionsensor wird für Bastler ja inzwischen für alles mögliche benutzt, nur nicht zum Spielen. Jetzt kein Lost Culture-Ding, aber ein schöner Nebenzweig.
Was im Podcast jetzt nicht ganz so stark vorkam ist auch der Verlust von Kultur aufgrund von Urheberrechtsgeschichten (im Emu-Block wurde das ein bisschen angesprochen). Da hatte ich neulich erst einen Artikel gelesen (wurde wahrscheinlich sogar von einem von euch verlinkt), aus Sicht eines Spieleentwicklers. Die sollten irgendeinen Klassiker auf ein Smartphone portieren und hatten grundsätzlich die Rechte daran. Leider galten die Rechte für das Spiel, aber nicht für bestimmte In-Game-Aspekte. Die durften dann die Karten zwar verwenden, der Lizenzgeber durfte den Code aber nicht rausrücken, weswegen die dann händisch nachgezeichnet und mit irgendwelchen absurden Tricks eingebaut wurden.
Und nur um Dich zu ärgern ein Link auf xkcd.com, weil er einen schönen Aspekt anspricht: Geniale Leistungen, die verloren gehen, weil sie in falschen Umgebungen feststecken. Grundsätzliche Problemlösungen, die in irgendwelchen Nutzgegenständen versacken. Ist auch beachtlich, denn nicht überall scheint der Technologietransfer so leicht vonstatten zu gehen wie bei Teleshop-Waren, deren Oberflächenbeschichtung „von der NASA entwickelt“ wurden.
By: Sebastian on 12.02.2011
at 17:58
Nicht nur Angela Merkel ist ein Androide aus der Trabifabrik. Sogar ich bin beim Touringest oder Turingtest oder wie das heisst durcht gefallen. Bitter, für Euch Menschlein
By: Gott on 13.02.2011
at 08:48
[…] Zum Thema passend dieser eindrucksvolle Artikel vom Blog Zivilschein. […]
By: Werden die Verhältnisse immer irrwitziger, verlogener, verantwortungsloser und undurchsichtiger? Oder kommt es mir nur so vor? | basche-info blog on 23.02.2011
at 20:41
[…] sich noch an den Zivilschein-Podcast “Lost Technology” erinnert, dem wird auch Pierre noch bekannt sein. Dieser traf mich in Berlin-Mitte, und gemeinsam […]
By: Computerspiele | Zivilschein on 23.02.2014
at 09:20