Verfasst von: Manuel | 15.09.2009

Zivilschein-Interview mit Jens Seipenbusch: „Nummernkennzeichnung auch für die Polizei von Vorteil“

Ein Hinweis in eigener Sache: Die bisherige Nummerierung von Interviews wird hiermit fallengelassen. Die Reihenfolge ergibt sich sowieso aus dem Datum der Erscheinungen in der Kategorie „Interview“.


Am gestrigen Montag hatte ich auf der Mahnwache gegen unverhältnismäßige Polizeigewalt am Platz der Luftbrücke in Berlin Gelegenheit, mit Jens Seipenbusch zu sprechen.
Der Vorsitzende der Piratenpartei Deutschland war wegen der „Freiheit statt Angst“-Demonstration ohnehin noch in Berlin und nahm deshalb gerne auch an der Mahnwache teil. Mit mir sprach er über Videoüberwachung, staatliche Transparenz und die Kennzeichnungspflicht von Polizisten.

Zivilschein: Die Mahnwache, auf der wir stehen, ist sehr schnell auf die Beine gestellt worden. Das ist doch nicht die Piratenpartei allein?

Jens Seipenbusch: Nein, hier sind noch einige von den Organisationen, die noch am Samstag auf der Demo waren. Natürlich waren alle sehr erschreckt, dass es zu diesen Ausschreitungen kam, denn diese Demo war so friedlich wie noch keine Demo, die ich in Berlin gesehen habe. Es war völlig unnötig, da am Schluss auf dem Platz noch reinzuschlagen. Ich selbst habe das nur von der Ferne mitbekommen, diese Szene aus dem Video habe ich persönlich nicht sehen können.
Das ist natürlich extrem krass und ich finde es auch sehr ärgerlich. Es passt auch zu anderen Ärgerlichkeiten: Gerade auf Demos gegen Überwachung filmt zum Beispiel die Polizei permanent, obwohl es eigentlich friedlich abläuft; auch diesmal wieder, gegen jegliche Vereinbarung und gegen das Recht. Das muss auch wirklich dringend geändert werden.
Aber auch diese Übergriffe dürfen natürlich auf gar keinen Fall sein. Der Betreffende muss zur Verantwortung gezogen werden!

Z!: Der Vorfall am Samstag ist an die Öffentlichkeit gekommen und zum großen Skandal geworden, weil er mit mehreren Videoaufnahmen aufgezeichnet wurde. Ist es nicht ironisch, dass ausgerechnet auf einer Demonstraion gegen Überwachung und gegen Videoaufzeichnungen eine Videoüberwachung als Hilfe funktioniert?

JS: Ich würde nicht sagen, dass das Videoüberwachung war, sondern es hat jemand gefilmt, der privat auf der Demo war. Das Polizeivideo dieses Vorfalls hätten wir wahrscheinlich gar nicht zu sehen bekommen und das zeigt: Die Überwachung, die uns bedroht, nützt uns gar nichts, weil sie für uns gar nicht erreichbar ist. Zudem hat derjenige, der das gefilmt hat, das sozusagen „anlassbezogen“ gemacht, um mal in der Sprache der Videoüberwachung zu bleiben. Der hat nicht die ganze Zeit den Platz gefilmt, darauf gewartet, das was passiert und dann einen Ausschnitt davon gemacht. Das spricht also überhaupt nicht für Videoüberwachung.
Insbesondere ist es durch die Beziehung zwischen Polizei und Demonstranten inzwischen leider üblich, dass die Polizei alles filmt, und dass man „zurückfilmt“ ist wirklich eine Verteidigungshaltung. Ich denke, wenn die Polizei nicht alles und jeden filmen würde – auch bei harmlosen Demonstrationen – wären die Leute auch nicht so geneigt, „zurückzufilmen“. Wenn es zu Gewalt kommt, ist es ja gut, dass gefilmt wird, denn ansonsten ist es ja so, dass dann abgestritten wird und ähnliches. Das ist also letztendlich eine Frage der Transparenz und der Beweisführung.
Wir Piraten sind ja zum Beispiel auch nicht gegen anlassbezogene Videofilme, womit die Polzei etwa die Möglichkeit hat, eine Straftat mit einer Kamera zu dokumentieren. Das soll sie doch machen. Aber bevor die Straftat passiert, soll sie die Kamera gefälligst nicht anschalten. Es geht um so etwas wie „Quick Freeze“ oder Pauschalüberwachung: „Quick Freeze“ ist okay, Pauschalüberwachung ist schlecht.

Z!: Aber ist Ihnen nicht unwohl bei dem Gedanken, dass sich Gewalttätige unter Demonstranten mischen, Krawalle verursachen und aus Spaß an der Gewalt dafür Demonstrationen unterwandern?

JS: Das ist natürlich äußerst unangenehm für uns, für das ganze Bündnis „Freiheit statt Angst“. Das war jetzt die vierte Demo des Bündnisses und immer in Berlin haben wir diese Probleme, also scheint das auch ein bisschen ein Berliner Ritual zu sein: Manche brauchen das offensichtlich. Ähnliches kennt man ja von Hooligans: Einige Leute kommen nur noch für eine gute Schlägerei. Das sollte man auf jeden Fall unterbinden.
Was mich aber wirklich wundert ist, dass die Polizei offenbar eigene Kräfte in sich hat, die diesen Sport mitmachen, dass also in der Polizei auch eine handvoll Leute Spaß an Schlägereien haben. Das darf auf gar keinen Fall sein, denn das ist die Staatsgewalt. Diese hat ja nicht umsonst Privilegien – sie ist eigentlich die einzige, die überhaupt Gewalt ausüben darf. Aber in der Polizei muss es ganz klar Konsens sein, dass man das nicht negativ ausnutzt. Das sind Staatsbeamte, die arbeiten für das Volk.
Wenn einzelne Bürger auf einer Demo eine Schlägerei anfangen, ist das keine Frage von Staatsgewalt. Dann müssen diese Leute natürlich rausgenommen und verhaftet werden. Das passiert ja auch. Wenn jemand im Staatsdienst aber seine Staatsgewalt missbraucht, ist das eine ganz andere Dimension.

Z!: Die Piratenpartei fordert jetzt eine individuelle Kennzeichnung von einzelnen Polizeibeamten. Eine Forderung, die gut in den Wahlkampf passt, weil Sie damit jetzt auf sich aufmerksam machen können?

JS: Nein. Das fordern wir schon länger.
Viele von uns Piraten sind ja im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung dabei und haben an vorhergehenden Demonstrationen teilgenommen. Unseren Erfahrungen nach werden harmlose Demonstrationen entgegen dem Demonstrationsrecht permanent videoüberwacht und die Polizei ist, da sie ja zum Beispiel in Helmen auftritt, nicht mehr identifizierbar. Dadurch ist einfach eine Asymmetrie gegeben, die nicht gerechtfertigt ist.
Ich denke, ein Polizist, der mit einer Nummer gekennzeichnet und damit auch greifbar ist, ist auch für die Polizei ein Vorteil, weil sie dann nicht mehr mit dem Pauschalvorwurf dieses Missbrauchs der Gewalt leben muss, sondern die faulen Eier gezielt heraussuchen und auch bestrafen kann.

Z!: Die Polizeigewerkschaft argumentiert damit, dass das ein Problem für einzelne Polizisten werden kann, weil Verbrecher diese dann auch identifizieren können. Wie stehen Sie dazu?

JS: Das halte ich für absurd. Es gibt ja keine Anonymität der Staatsgewalt. Wenn wir so argumentieren, dann sind wir im Jahre 1984, mit Geheimdienst und mit Spitzeln, die im Untergrund unsere Bürger drangsalieren. Das halte ich für absolut absurd.

Z!: Allgemeine Frage zum Abschluss: Was glauben Sie, wie Ihre Chancen bei der Bundestagswahl aussehen?

JS: Wir arbeiten natürlich nach wie vor an der Fünf-Prozent-Hürde, wir geben alles. Der Aufschwung ist wirklich da. In den letzten Tagen haben wir nochmal extrem viel Aufmerksamkeit generieren und Neumitglieder gewinnen können. Die Möglichkeit ist also durchaus gegeben, auch wenn es sicherlich nicht einfach wird.
Letztendlich werden wir aber sehen, wie der Wähler entscheidet: Am 27.09.!

Z!: Vielen Dank Jens Seipenbusch!


Antworten

  1. Herzlichen Glückwunsch zu dem Interview! Gute Fragen, die mir spontan so nicht eingefallen wären.

  2. […] Seipenbusch ganz gut unterhalten, der ein paar interessante Dinge zur Demo am Samstag sagen konnte, aber dazu später mehr. Auch diese Kundgebung wurde gefilmt, auch hier waren (wenig verwunderlich) reichlich Polizisten […]

  3. […] Interview mit Jens Seipenbusch (anlässlich der Mahnwache für den verprügelten Radfahrer) Lesezeichen gefällig? Bedien' […]

  4. […] für die Demokratie. Ich kann daher Jens Seipenbusch und seiner Piratenpartei nur beipflichten zu der Forderung, dass Polizisten endlich klar erkennbare Identifizierungsnummern tragen müssen: Nur so kann dauerhaft gewährleistet sein, dass untaugliche Großstadtsheriffs rückhaltlos für […]

  5. […] möchte kurz auf ein Inter­view mit Jens Sei­pen­busch, Bun­des­vor­sit­zen­der der Pira­ten­par­tei, im Zivilschein-​​Blog auf­merk­sam […]

  6. […] sind insgesamt mehrere hundert Visits reingekommen. Als besonders beliebt hat sich aber mein Interview mit dem Vorsitzenden der deutschen Piratenpartei Jens Seipenbusch herausgestellt, den ich auf der Mahnwache nach der Demo vollkommen zufällig getroffen hatte: Zwar […]


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