Verfasst von: Manuel | 05.11.2009

Internet-Zensur durch die Hintertür?

Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur hat heute mittag eine Pressemitteilung abgegeben, die sich in der Tat besorgniserregend liest.
Der Text (via Spreeblick) im Wortlaut:

Pressemeldung des Arbeitskreises gegen Internet-Sperren und Zensur zu weltweiten Bestrebungen nach Internet-Zensur durch die Hintertür

Während in Deutschland das Zugangserschwerungsgesetz von der neuen Regierung für ein Jahr auf Eis gelegt wurde, bemühen sich weltweit Lobbyisten um die Regulierung des Internets zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur warnt vor den negativen Auswirkungen von geheimen Verhandlungen auf die Kommunikations- und Rezipientenfreiheit.

Seit Mittwoch treffen sich die Verhandlungspartner zur Abstimmung des zukünftigen Handelsabkommens ACTA in einer weiteren geheimen Sitzung in Seoul[1]. Im Vorfeld wurde bekannt, dass dort gravierende Eingriffe in die Kommunikationsfreiheit geplant sind[2].

Ein propagiertes Ziel des ACTA-Abkommens ist der weltweite Schutz der Verwertungsinteressen von Rechteinhabern durch eine strikte Regulierung des Internets – zum Schaden von Millionen Internet-Nutzern.

Die Umsetzung der Ziele würde die Schaffung eines globalen „Notaus-Schalters“ bedeuten. Mit diesem könnten Webseiten, Inhalte und Nutzer effizient vom Netz abgetrennt werden, sollten sie gegen die Interessen der durch die Lobbyverbände vertretenen Rechteinhaber verstoßen.

Die Internet Service Provider sollen dabei als Erfüllungsgehilfen einer Industrie fungieren, deren bisherige Wertschöpfungskette in der digitalen Informationsgesellschaft nicht mehr zeitgemäß erscheint – die gleichzeitig aber auch eine Reform dieses Prozesses um jeden Preis zu verhindern sucht.

Host-Provider würden demnach verpflichtet, im „Notice and Takedown“-Verfahren schon bei Verdacht einer Urheberrechtsverletzung Webseiten ihrer Kunden vom Netz zu nehmen. Zudem sollen Anbieter von Web-2.0-Plattformen Inhalte ihrer Nutzer bereits vor Veröffentlichung auf mögliche Urheberrechtsverletzungen hin untersuchen.

Die neutrale Position der Zugangsanbieter, die im Gleichgewicht des Netzes eine wesentliche Rolle spielt, wird so massiv bedrängt und droht verloren zu gehen.

Schon vor Monaten hatte die Veröffentlichung von geheimen ACTA-Unterlagen wichtige Fragen für Konsumenten weltweit aufgeworfen. So sieht ACTA unter anderem auch eine Möglichkeit für Zollbeamte vor, die Inhalte von mitgeführten Geräten auf Urheberrechtsverletzungen zu prüfen[3] [4].

Derweil wird vor dem Europäischen Parlament momentan die „3-Strikes“-Regelung debattiert[5]. In einem dritten Anlauf zu „Zusatz 138“ des Telekommunikationspakets versucht Verhandlungsführerin Catherine Trautmann die Möglichkeit einer Abschaltung des Internet-Zugangs ohne richterlichen Beschluss durchzusetzen[6]. Somit wäre es auf Grund bloßer Behauptungen, außerhalb des ordentlichen Rechtsweges vorstellbar, Menschen von einem heute unverzichtbaren Kommunikations- und Informationsstrang auszuschließen.

Mit einem ähnlichen Schachzug versucht auch die amerikanische Regierungsbehörde GAO (Government Accountability Office) die Netzneutralität anzugreifen[7]: Ein veröffentlichtes Papier des GAO bewertet eine durch die Schweinegrippe ausgelöste globale Pandemie und eine daraus resultierende stärkere Nutzung und „Verstopfung“ des Internets durch Privatanwender tagsüber als eine Gefahr für den freien Handel. Der Zugriff auf „kritische Telekommunikationsinfrastrukturen“ müsse für „broker-dealers and other securities market participants“ sichergestellt werden.

Nachdem sich Bürgerrechtler in den letzten Monaten heftig gegen die Scheinargumente und Propaganda des Wahlkampfs zur Wehr gesetzt haben, gibt die Tendenz, fundamentale Themen der Kommunikationsfreiheit auf internationaler Ebene im Geheimen und hinter verschlossenen Türen zu verhandeln, Grund zu tiefer Sorge.

Der AK Zensur ruft die Bundesregierung dazu auf, hier eindeutig Stellung zu beziehen und solch weitreichenden Eingriffen in die Grundrechte ihrer Bürger mit aller Kraft entgegenzutreten.

 

[1] http://www.international.gc.ca/trade-agreements-accords-commerciaux/fo/seoul-seoul.aspx

[2] http://www.michaelgeist.ca/index.php/view/4510/125/

[3]http://www.wikileaks.org/wiki/Classified_US%2C_Japan_and_EU_ACTA_trade_agreement_drafts%2C_2009

[4] http://www.canada.com/vancouversun/story.html?id=ae997868-220b-4dae-bf4f-47f6fc96ce5e

[5] http://www.unwatched.org/node/1551

[6] http://ak-zensur.de/2009/10/eu-telekom-paket.html

[7] http://www.gao.gov/products/GAO-10-8

 

Mehr Informationen unter:

http://keionline.org/node/682

http://www.eff.org/deeplinks/2009/11/leaked-acta-internet-provisions-three-strikes-and-

http://www.laquadrature.net/en/legalese-for-progress-not-political-weakness

http://www.reuters.com/article/newsOne/idUSN2620750120091026

Update 1: Auch Florian Holzhauer bewertet auf dem Lawblog das ACTA-Abkommen kritisch.
Update 2: Markus Beckedahl nannte auf netzpolitik.org den Stand der Verhandlungen schon vor zwei Tagen „bedrohlich für eine digitale Gesellschaft“.


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