Verfasst von: Manuel | 11.01.2010

Im Netz der FAZ

Wenn FAZ.NET seine Artikel im Ressort 'Internet' mit schräggestellten Screenshots bebildert, dann muss das doch ein Zeichen von Qualitätsjournalismus sein!

Nachdem die Koalitionsparteien der neuen Regierung im vergangenen Herbst mit einem „Nichtanwendungserlass“ ihre Lösung verkündet haben, wie das Gesetz für Netzsperren womöglich in Kraft treten, aber dennoch nicht wirksam werden kann, scheint die akute Gefahr eines zensierten Internets gebannt zu sein. Seither ist es unheimlich still in der Angelegenheit geworden.

Am Samstag hat die FAZ in diese Stille hinein einen Artikel von Stefan Tomik veröffentlicht, der den Namen „Im Netz der Kinderschänder“1 trägt.

Ohne dabei ausdrücklich diese oder jene Seite der Diskussion einzunehmen, zeichnet der Text ein sehr eindrückliches Bild. Quoth the Raven:

Mit den Netzsperren wollte das Bundeskriminalamt vielmehr gegen Websites vorgehen, die Kinderpornographie zeigen und zum Teil weitere, kostenpflichtige Angebote bewerben. […] Die Internetgemeinde sah darin Zensur, ihre Kampagne war erfolgreich: […] Das BKA soll wie bislang versuchen, die Seiten löschen zu lassen, auch wenn sie im Ausland bereitgestellt werden. Den Zugang zu ihnen sperren darf es nicht.

Manche Modelle tragen Zahnspangen

Ein paar Mausklicks und Suchbegriffe genügen, um in die Online-Welt der Kinderschänder einzutreten. Unzählige Seiten zeigen Hunderte Bilder von Teenagern in aufreizenden Posen, bei sexuellen Handlungen untereinander oder mit Erwachsenen. Ein Klick auf ein beliebiges Bild führt zu weiteren Seiten mit weiteren Bildern. […] Manche Seiten halten sich Wochen, andere Jahre, ohne dass ihre Betreiber behelligt würden. Während all diese Seiten gratis anzusurfen sind, werden auch kostenpflichtige Angebote beworben, meist Video- und Fotodatenbanken. Eine Seite bietet potentiellen Kunden „einige der besten Szenen als Vorspeise“, bevor sie sich für den Zugang zu angeblich exklusivem Material entscheiden. Dafür werden bis zu hundert Dollar im Monat verlangt.

[…]

In Deutschland kann die Polizei gegen Verbreiter von Kinderpornographie effektiv vorgehen. Erbittert streiten Befürworter und Gegner der Internetsperren aber über die Frage, wie das im Ausland geschehen kann.

Weitere Zitate aus dem Artikel unterlassen wir, aus nackter Angst, mittels einer Abmahnung an den Bettelstab getrieben zu werden.
Der komplette Artikel, inklusive der ausgelassenen Stellen, ist aber online abrufbar.

Noch am gleichen Tag hat Mogis eine von Christian Bahls verfasste Replik an den Autor Stefan Tomik veröffentlicht. Der knappe, aber sehr lesenswerte Artikel befasst sich mit der tendenziösen Herangehensweise und begegnet den Andeutungen mit Belegen:

Zu den von Ihnen erwähnten Verweilzeiten der Inhalte im Netz habe ich genau zwei Anmerkungen:

  1. Solange die Deutsche Polizei ermächtigt, ist Server mit solchen Bildern in Deutschland monatelang weiterzubetreiben (siehe Operation Himmel), brauchen wir nicht mit dem Finger ins Ausland zu zeigen.
  2. Wenn’s eine E-Mail an den Provider nicht tut,
    http://mogis-verein.de/2009/08/24/warum-man-mit-kooperation-weiter-kommt/
    dann bleibt immernoch die Möglichkeit dort mal anzurufen:
    http://mogis-verein.de/2009/07/08/versuch-einer-aufloesung/

    http://mogis-verein.de/2009/06/26/kurze-meldung-an-den-anonymen-tipgeber/

Tags darauf reagierte der AK Zensur auf den FAZ-Artikel mit einem Text namens „Gefangen im Netz der simplen Antworten“. Mit Dank für dessen freundliche Genehmigung folgt diese Reaktion hier im vollständigen Wortlaut:

In Wahlkampfzeiten neigen Politiker und Parteien dazu, Probleme zu trivialisieren und Lösungen zu simplifizieren. Paradigmatisches Beispiel dürfte dafür Ursula von der Leyen mit ihrem Vorstoß zur Sperrung kinderpornographischer Internetseiten sein. Im Internet würde die „Vergewaltigung von Kindern vor laufender Kamera“ gezeigt. Die Server stünden in Indien (oder Kasachstan), wo die Inhalte nicht gelöscht werden könnten. Deswegen seien Internetsperren in Deutschland die einzig sinnvolle Massnahme. Für den Wahlkampf ist das eine brauchbare Geschichte – und Wahlkampf war dies ja.

Der Wahlkampf ist bekanntlich vorbei und bei dem Thema Bekämpfung der Kinderpornographie hat eine neue Sachlichkeit Einzug gehalten. Die Koalition will das „Zugangserschwerungsgesetz“ vorerst nicht umsetzen. Es bleibt abzuwarten, ob die FDP das Zugangserschwerungsgesetz kippen kann, wie dies vom AK Zensur gefordert wird.    

Für das BKA und seinen Chef Jörg Ziercke, wie auch für die Freunde obrigkeitsstaatlicher Lösungen in der CDU ist das nun gewiss etwas enttäuschend. Da hat man schon ein nahezu todsicheres Thema, mit dem der Einstieg in die flächendeckende Kontrolle des Netzes geschaffen werden soll, und dann kann man sich – trotz Anwendung aller polemischen Mittel – im Ergebnis nicht gegen eine „straff organisierte“ (Zitat von W. Bosbach) Kampagne des AK Zensur und der gesamten Netzgemeinschaft durchsetzen.

Die FAZ schlägt heute ein neues Kapitel der Auseinandersetzung auf. Erstmalig wird auf eine Trivialisierung des Problems verzichtet.

Soweit dem Artikel der FAZ Informationen des BKA zu Grunde liegen, ist natürlich von vorne herein Skepsis angebracht. Das BKA möchte, mindestens im Ausland, nicht direkt eine Löschung von kinderpornographischen Inhalten durchführen, weil u.a. – so die Information von Martin Dörmann – das BKA befürchtet, die sofortige Löschung von Inhalten könne strafrechtliche Ermittlungen behindern. Man würde sich einen Qualitätsjournalisten wünschen, der zu diesem Punkte das BKA zum Beispiel in der Person von Jürgen Maurer klar befragt. Ist es etwa nicht richtig, dass das BKA hinter verschlossenen Türen inoffiziell bestätigt hat, dass es an einer sofortigen Löschung von kinderpornographischen Inhalten nicht interessiert ist, damit strafrechtliche Ermittlungen noch durchgeführt werden können? Immerhin findet sich bei der FAZ eine etwas verklausulierte Bestätigung dieses Sachverhaltes: Das BKA lehnt es „bisher ab, sich bei seinen Löschversuchen direkt an ausländische Provider zu wenden und so die Strafverfolger in dem jeweiligen Staat zu umgehen. Man wisse schließlich nicht, welche Ermittlungsmaßnahmen die ausländischen Kollegen gerade betrieben, heißt es in Wiesbaden.“ Das hat oft zur Folge, dass die Verbreitung geduldet wird, um Konsumenten zu finden. Dass das FBI Link-Honeypots betreibt ist nur die harmlose offizielle Variante.

Die FAZ lotet nun mit der Lupe die Grenzbereiche des Löschens pornographischer Inhalte aus. Da geht es um fiktive Texte, Posingbilder und Anscheinsjugendpornographie. Konsterniert gibt die FAZ zu, es sei schwer, hier die „Strafbarkeit zu beurteilen“. Und vergisst gleichzeitig, dass das Zugangserschwerungsgesetz für solch schwierige und nicht einmal eindeutig rechtswidrige Sachverhalte nie gedacht war. Worum es Frau von der Leyen beim Zugangserschwerungsgesetz ging, wurde ja präzise formuliert: „Wir tolerieren nicht länger, dass Kinder vor laufender Kamera vergewaltigt, geschändet und missbraucht werden und jeder dabei im Internet zusehen kann.“ Und wer noch etwas deutlichere Formulierungen sucht, sollte sich die Rede von Frau von der Leyen in der Aktuellen Stunde zur Bekämpfung  der Kinderpornographie im Internet  vor dem Deutschen Bundestag  am 26. März 2009 durchlesen. Selbst das BKA hat die Ausweitung des Zugangserschwerungsgesetzes auf andere Sachverhalte abgelehnt.

Die Schlußfolgerung der FAZ, die natürlich nur zwischen den Zeilen zu lesen ist, lautet: Weil das Löschen in diesen Grenzbereichen so schwierig und kompliziert sei, brauche man doch Internetsperren. So findet die FAZ dann wieder zu der gewünschten Antwort zurück. Die FAZ bleibt gefangen im Netz der simplen Antworten. Für die komplizierten Probleme einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit werden wieder nur einfache Antworten gefunden. Was bei der FAZ indessen unerwähnt bleibt: wer über den Kernbereich international geächteter kinderpornographischer Inhalte hinaus die Differenzen zwischen verschiedenen nationalen Jurisdiktionen zum Anlass nimmt, Netzsperren zu fordern, der muss konsequent aus dem internationalen Internet ein renationalisiertes Intranet, also ein Local Area Network für Deutschland formen. Das Deutschland-Net.

Richtig ist: „Die Server stehen im Ausland!“ ist kein Argument für Netzsperren, weil es kein Ausland gibt, das auf einen entsprechenden Hinweis hin nicht sofort die Verfolgung aufnehmen dürfte.
Richtig ist: Netzsperren unterstützen die Verbreitung von Kinderpornografie, weil die erstellten Listen als Landkarte zum heißen Material unter den Konsumenten rumgereicht werden.
Richtig ist: Netzsperren helfen den Anbietern von Kinderpornografie, weil diese durch die „Sperrung“ rechtzeitig vor einer Entdeckung gewarnt werden und entsprechend ihre Spuren verwischen können.
Richtig ist: Netzsperren ruinieren sofort das Ansehen von Anbietern, die unberechtigt auf die Sperrlisten gelangen.
Richtig ist: Eine von staatlichen Organen ohne wirksame Kontrolle erstellte Liste mit Inhalten, zu denen der Zugang erschwert wird, bedeutet de facto eine Zensur, die eines freiheitlichen Rechtsstaates unwürdig ist.

Hoffentlich hören alsbald die abstrusen Querschläger auf, „Kritiker“ würden „sagen, die Sperren seien technisch leicht zu umgehen und daher unwirksam“.
Über die „leichte Umgehbarkeit“ der Sperren könnten wir ja sprechen, wenn die viel grundsätzlicheren Probleme mal sachlich diskutiert werden würden.

Update: Bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels hat sich der Autor des FAZ-Textes Stefan Tomik in den Kommentaren zur AK-Zensur-Replik selbst zu Wort gemeldet.


  1. An den Überschriften sollt ihr das Qualitätsmedium erkennen! []

Antworten

  1. Weißte, inzwischen ist die gesamte Bevölkerung so auf Überwachung gedrillt, dass ein bisschen Zensur gar nicht mehr ins Gewicht fällt. Sogar in meinem Bekanntenkreis finden sich schon Befürworter von heimlichen On- und Offlinedurchsuchungen, Nacktscannern, Folterharten Verhörmethoden und anderen faschistischen Methoden. Ich glaube langsam, Du und ich und die paar Internethanseln zählen zu einer aussterbenden Art.

    • @daMax
      Meine direkten Erfahrungen sehen ähnlich aus.

      Siehst du, in meiner Heimatstadt wurde kürzlich ein neuer Landrat gewählt. In sieben Monaten das fünfte Mal, dass die Bürger nach ihrer Meinung gefragt wurden.
      In meinem Wahlbezirk (der da etwa beim Durchschnitt liegen dürfte) lag die Wahlbeteiligung bei knapp 20%.
      Gerade jeder fünfte hat wenigstens ein Kreuz auf einen Zettel gemacht, um sich an der Demokratie zu beteiligen.

      All dieses Verhalten kann man bekämpfen, da bin ich sicher. Vor allem mit Aufklärung.
      Aufklärung kann man aber auch bekämpfen. Zum Beispiel mit Artikeln wie dem obigen in der FAZ.


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