Verfasst von: Manuel | 26.08.2010

„Wir mochten Drakensang, aber zu wenige haben es gekauft.“

Normalerweise werden hier keine einzelnen Artikel ohne Kommentierung verlinkt, aber in meiner Recherche zur aktuellen Artikelreihe über die Umbrüche bei DSA bin ich auf ein erst gestern veröffentlichtes Interview gestoßen, das buffed.de auf der kürzlich stattgefundenen Gamescom 2010 in Köln mit Bernd Beyreuther geführt hat.
Bernd Beyreuther war einer der beiden Gründer und Unternehmensleiter des Berliner Softwarehauses Radon Labs und war mit seinem Kollegen André Blechschmidt bereits in dessen Vorgängerfirma Terratools engagiert, wo er das Strategiespiel „Urban Assault“ mitentwickelt hat.
Bei Radon Labs war er der kreative Kopf hinter „Project Nomads“ und den „Drakensang“-Spielen, musste aber als Unternehmensleiter auch die Insolvenz der Firma im Mai 2010 mitverantworten.

Nachdem Radon Labs durch den Onlinespielehersteller Bigpoint übernommen wurde und ohne DSA-Lizenz das nächste Drakensang als Browsergame entwickeln soll, spricht er in ungewöhnlich offener Sprache im Interview mit dem Onlinespielemagazin buffed.de über die zurückliegenden Ereignisse.
Jeder, der sich für Drakensang, DSA oder Gamedesign im Allgemeinen interessiert, dürfte aus diesem Interview erhellende Erkenntnisse gewinnen können.

Ich zitiere an dieser Stelle, teilweise kommentiert, nur ein paar besonders brisante Stellen als Vorgeschmack:

Drakensang wird ein Online-Spiel.

Die letzten Wochen vor der Insolvenz waren echt nervenzerfetzend. Am 28. Mai wussten wir nicht, wer am 1. Juni unser Arbeitgeber sein wird.

Im Prinzip war es erst mal ein „Clash of the Cultures“. Man macht sich überhaupt kein Bild, wie unterschiedlich die Business-Modelle sind, wie unterschiedlich die ganze Mentalität und die Produktionsweisen sind. Da prallen zwei vollkommen verschiedene Welten aufeinander.

Dieses und das vorige Zitat werfen ein gewisses Licht darauf, wie stark Radon Labs an der Kooperation mit Bigpoint wirklich interessiert war und wieviel das, was vor dem jetzt „Bigpoint Berlin“ genannten Entwicklerteam liegt, mit seinen vorigen Vorstellungen zu tun hat.

Wir haben tolle Kritiken [für „Drakensang: Am Fluss der Zeit“] bekommen, wir haben ja sogar Top-1-Platzierungen abgeliefert. Aber die Verkaufszahlen haben hinten und vorne nicht gereicht. Und klar ist: Wenn die Zahlen gut gewesen wären, dann wäre es auch mit Radon Labs anders gelaufen.

„In Schönheit sterben“ war die Formulierung, die im Raum stand. Wir mochten Drakensang, aber zu wenige haben es gekauft.

Diese beiden Zitate lesen sich äußerst bemerkenswert angesichts der vielen Wochen, die beide Drakensang-Spiele in den vorderen Rängen der deutschen Verkaufscharts verbracht haben, der Preise, die sie eingefahren haben und der Erfolgsmeldungen, die Entwickler und Publisher sowohl über nationale als auch über internationale Absätze geliefert haben.
Wieviel lagen die Erwartungen wohl über diesen eigentlich schon beachtlichen Leistungen?

Wir hatten ja auch eine Konsolen-Portierung oder ähnliches im Kopf, bevor die Insolvenz kam.

Notiere: Drakensang auf der Konsole ist gestorben und begraben. Die Portierung lag schon seit Jahren als Vorhaben in der Luft, wurde aber nie angekündigt. Jetzt ist sie aus der Welt.

Wir haben uns schon bei Am Fluss der Zeit schwer getan, wir sind ständig an Grenzen vom System und der Hintergrundwelt gestoßen. Vor allem, da auf einer Seite die Autoren sitzen, die die Welt schaffen. Die Lizenzinhaber, die die Kohle kassieren, sitzen auf einer anderen Seite. Und das ist fast schon tragisch. Das war ein Problem.

Das andere ist die starre Welt. Ein Beispiel: Wir haben uns einen finalen Endgegner gewünscht und zwar Answin von Rabenmund, der klassische Schurke schlechthin. Ging aber nicht, weil der gerade für eine Buchserie überarbeitet wird. Da wird der Charakter völlig umdefiniert, vielleicht hatte er ja eine schlechte Kindheit und ist nur deshalb so fies… egal, deswegen durften wir Answin jedenfalls nicht ins Spiel einbauen. Und das ist nur eins von diversen Beispielen. Das Regelwerk etwa wollten wir auch bei einem Drakensang 3 mit DSA-Lizenz nicht noch mal verwenden. Und wir hatten ebenfalls bereits geplant, den Kontinent Aventurien zu verlassen, um eben diesem engen Korsett zu entfliehen.

Das klingt alles wenig hoffnungsfroh, was zukünftige Lizenzspiele deutscher Rollenspielsysteme betrifft. Nicht nur speziell bei Beyreuther und seinen Kollegen – andere Entwickler werden diese Erfahrung ja auch mitbekommen.

Wir haben 2005 ein Produkt geschaffen, mit der Ausrichtung auf Offline, auf Singleplayer, auf die cinematische Erzählweise und uns in eine Nische reinbewegt. Tja, unser Produkt war schön. Wir mochten es. Aber es hat sich nicht verkauft.

Offline, Singleplayer, cinematische Erzählweise. Vor zehn Jahren hätte man das für ein Rezept für totale Reißer gehalten. Heute nennt man das „eine Nische“.
Und wiederum: „Drakensang“ „war schön, aber es hat sich nicht verkauft“. Hum.

Hier gibt es das Interview im Volltext, inklusive Bilder.

(Zum Vergleich verweise ich nochmal auf diesen Artikel der PC Games, wo sich Guido Henkel, der die Nordlandtrilogie miterschaffen hat, kritisch über jene Zeit äußerte.)

Update: Michelle Schwefel, Autorin der biografischen Answin-Romane, äußert sich in den Alveran.org-Foren zu Bernd Beyreuthers Darstellung betreffs der Hintergrundwelt, speziell des Endgegners Answin von Rabenmund. Da auf Alveran.org derzeit vermehrt Beiträge zu verschwinden scheinen, hier ein Vollzitat:

Ich muss sagen, das Statement des Publishers verwirrt mich. Die hatten damals Kontakt zu mir aufgenommen, und ich habe ihnen dezidiert offen gelegt, in welche Richtung meine Planung geht. Von „nicht vereinbar“ keine Rede (und von fieser Kindheit auch nicht, wie die Answin-Leser wissen dürften. Ich darf nun mutmaßen, ob die Verantwortlichen bei Drakensang meine Ausführungen damals nicht gelesen oder aber nicht verstanden haben). Ich habe lediglich deutlich gemacht, dass man einen DSA-bekannten Schurken wie Answin, der ja ein gewisses Kaliber und einen Nimbus aufweist, nicht in einer 08/15-Story verwursten sollte, und dass ich es für problematisch erachte, ihm aus dramaturgischen Gründen noch eine weitere Niederlage einzuschenken – noch dazu eine, bei der er mal wieder nicht sonderlich geschickt agiert. Dass es sich verbietet, ihn vor dem JdF final zu „entsorgen“, sollte sich auch verstehen. Aber ich hatte auch Vorschläge gemacht, wie man die Sache beispielsweise anpacken könnte, so dass alle zufrieden sind, und wäre auch bereit gewesen, eine KG zuzusteuern.
Gehört habe ich von dem Publisher danach nichts mehr …
Nun von einer „Enge der Spielwelt“ oder einer „mangelnden Beweglichkeit der Autoren“ zu sprechen, mutet schon merkwürdig an.

Womöglich bezieht sich Bernd Beyreuther mit seiner Kritik auf jemand anderes als Michelle Schwefel, aber die Answin-Romane an sich scheinen doch eher nicht im Weg gestanden zu haben.


Antworten

  1. […] Berlin“ umbenannt. Auf der Gamescom in Köln im August 2010 gab Bernd Beyreuther ein (hier schon kurz kommentiertes) Interview über sein Unternehmen. Dort sagte er: Wir haben tolle Kritiken [für "Drakensang: Am […]

  2. Dazu kann ich nur sagen, dass ich mit Drakensang:Am Fluss der Zeit aufgrund von unfassbaren Bugs und eines mega nervigen „Kopierschutzes“ schier Schaum vorm Maul bekommen habe. Wer so mit zahlenden Kunden umgeht, hat es nicht anders verdient!

  3. Sicher, dass du wirklich „Am Fluss der Zeit“ (Februar 2010) meinst?

  4. Oh äh *hüstel*, nee, hast recht. Ich meinte Drakensang: Ding vom Dings oder so ähnlich. Sorry, mein Fehler…

  5. Verständlich. Ist wirklich nicht so, dass die Namensgebung sonderlich leicht durchschaubar wäre, wie das bei Might and Magic 1-9 noch war.

  6. Ich möchte gerne einen Kommentar zu diesem Artikel loswerden, auch wenn er schon etwas älter ist. Ich bin leider erst heute auf ihn gestoßen.
    Herr Beyreuther hat sich ganz offensichtlich die Rechte an einer Marke gesichert, von der er nur gehört hatte, dass sie unter Spielern einen guten Namen besitzt.
    Wer DSA kennt, der weiß, dass man nicht einen „Oberschurken“ wie von Rabenmund in einem Computerspiel mal eben als Endgegner hinstellen kann. Wie hätte das denn weitergehen sollen? Im nächsten Teil tötet man dann Borbarad und im übernächsten tötet man den Namenlosen persönlich mit seinem selbstgeschmiedeten Dolch?
    Außerdem sind die Bücher von Frau Schwefel seit langem die ersten Lichtblicke im Bereich der DSA-Romane und ich wäre wirklich verärgert gewesen, den dank ihr in neuem Licht gesehenen Answin am PC sterben zu sehen, zumal ich begierig auf den dritten Teil ihrer Buchreihe warte.

  7. Um Herrn Beyreuther da mal in Schutz zu nehmen: Der spielt schon länger DSA als die meisten aktuellen DSA-Spieler. Nicht zuletzt deshalb verweisen „Am Fluss der Zeit“ und sein Addon ja auf DSA-Ereignisse, die Anfang der Neunziger aktuell waren.
    Der kennt sich schon aus. Er musste aber auch ein Spiel machen, dass sich am Ende genug verkauft, um den Publisher zufriedenzustellen. Das scheint manchmal in die entgegengesetzte Richtung zu laufen.
    Gerade am internationalen Markt (amerikanische Computerspieler!) sind viele halt der Meinung, man müsste „epic“ Geschichten mit großen Superschurken aufziehen, in denen man am Schluss die Welt rettet, um ein Spiel erfolgreich zu positionieren.

    Und sagen wir mal so: Leute, die diese Meinung vertreten, könnten in Zukunft die Drakensang-Reihe als schlechtes Beispiel heranziehen.


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