Ein altes Sprichwort sagt: „Nie kämpft es sich schlecht für Freiheit und Recht!“, und ich bin skeptisch, ob Aung San Suu Kyi dem zustimmen würde, aber gestern habe ich mich für Freiheit und Recht eingesetzt und ich kann sagen: Das ging ganz gut.
Ich hab mich gegen 14:00 mit Max getroffen (war ja klar), der da ganz verwirrt rumgestolpert ist, weil er den Stand des AK Zensur nicht finden konnte – sehr nachvollziehbar, weil der auch nicht so gut erkennbar war.
Auf dem ganzen Potsdamer Platz waren da schon einige hundert Menschen zugegen und die Atmosphäre ging ins Festivalhafte: Leute saßen auf dem Boden, spazierten umher, Flyer wurden verteilt und es gab massenweise Stände, an denen sich Bürger über diverse Organisationen informieren konnten: Die Humanistische Union war da, der FoeBuD, der schon erwähnte CCC, ver.di und noch einige mehr… unter anderem auch einige politische Parteien.
Die FDP hat sich ziemlich am Rande aufgestellt. Zwar haben die wohl einiges investiert, aber mir sind die dabei so aus dem Blickfeld geraten, dass ich glatt vergessen habe, ihren Stand zu fotografieren.
Die Linke hatte einen Stand von eher bescheidener Größe mitsamt Wahlkampfmobil, konnte ihre roten Luftballons aber gut unter den Leuten verteilen.
Die Grünen haben besonders dick aufgetragen, nicht nur hatten die einen sehr ausladenden Stand und einige großformatige Wahlkampfplakate dabei, sondern sind gleich mit einem ganzen Bus aufgefahren und hatten wohl mehr grüne Luftballons („Schäublefreie Zone“) da, als die ganze Veranstaltung Teilnehmer hatte. Zurecht besonders beliebt waren ihre Schäuble-Schilder „DU bist verdächtig!“.
Die Piratenpartei hatte zunächst nur einen nicht besonders beeindruckenden Stand, konterte den Grünen aber kurz vor Demobeginn mit einem massiven Truck mit Prodigy-Starkbeschallung sowie dem Gläsernen Mobil.
Irgendwo habe ich auch ein paar Fahnen der JuSos gesehen, einen Stand hatten die aber wohl ebensowenig wie ihre Mutterpartei SPD. Auch die CDU war weit und breit nirgends zu sehen. Und das ist auch konsequent: Beide Parteien bekämpfen hartnäckig alles, wofür die Veranstaltung sich einsetzte.
Den eröffnenden Auftritt von „Die Schwesta“ fand ich relativ albern, aber Hiphop ist eh nicht mein Fall und ich hätte auch nie erwartet, dass man auf deutsch den Überwachungswahn berappen kann, ohne peinlich zu werden.
Die Moderation von padeluun war ziemlich gut, die Rede des ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske ganz gut, aber ziemlich ausufernd. Ralf Bendraths und Patrick Breyers Reden waren toll, die von Rolf Gössner schlechterdings großartig.
Thilo Weichert überraschte mit einer sehr beherzten und kompetenten Ansprache und mir wurde dabei eines bewusst: Dieser Mann ist mitte fünfzig, aber er nimmt seine Aufgabe als unabhängiger Datenschutzbeauftragter des Landes Schlesweig-Holstein weit über seine Pflichten hinaus sehr ernst und er ist sehr bewandert mit den neuen Medien, ihren Möglichkeiten und den Problemen, die sich daraus ergeben.
Das zeigt: Es ist keine Ausrede, dass man alt ist. Wir stehen vor keinem reinen Generationskonflikt und es ist nicht hinnehmbar, dass Politiker Raubbau an unseren Grundrechten betreiben, weil sie eben altersinkompetent sind. Auch mit jenseits der fünfzig kann man und muss man es besser wissen.
Mit über einer halben Stunde Verspätung setzte sich dann der Demonstrationszug langsam in Bewegung. Mehrmals kam das ganze ins Stocken oder wurde sehr langsam, und ja, wir wurden alle aufgezeichnet und ich habe auch Sorgen, was mit dem Material passiert. Außerdem gab es reichlich Polizeipersonal am Rande der Demostrecke, teilweise in sehr dunklen Farbtönen, mit Helmen und mit Feuerbewaffnung. Aber solang die nichts tun, kann ich das noch hinnehmen.
Was mir zumindest in der Mitte des Demonstrationszugs gefehlt hat, war etwas organisierendes Reden. Anders als bei meiner letzten Demo war da kaum Parolenrufen zu hören, weils einfach keinen Megaphonmann gab, der das koordiniert hätte. Das war schade, weil die Demo an einigen sehr dazu einladenden Orten vorbeiführte (Holcaustdenkmal, Telekomgebäude, Finanzministerium, Bundesrat etc.).
Zwar gab es da irgendwo einen Wagen, von dem irgendwer, der garantiert nicht zu den Organisatoren gehörte, ein kleines Mädchen Parolen in ein Mikrophon skandieren ließ, aber dieser Quatsch wurde zum Glück von niemandem recht ernst genommen.
Ein paar der Demofahrzeuge haben ziemlich gute Musik beigesteuert, der Piratentruck war ziemlich am lautesten (und dieses Technogescheuer ist nun wirklich nicht mein Geschmack, aber es kam offenbar an), warf mir aber die Frage auf: Warum? Teilen die ihre Botschaften jetzt nur noch über die Form mit (sinn- weil textfreie Rummsmusik, die aber aus dem Internet runtergeladen und total jugendkulturkompatibel ist), statt über Inhalte? Warum nicht wenigstens zwischen zwei Maschinenmusiktiteln ein paar Slogans unters Volk bringen und die Leute auch mit Inhaltlichem anheizen? Warum sagt man Sachen ins Mikrophon wie „Hat Spaß gemacht, toll dass ihr alle hier seid, wir müssen jetzt ausmachen, der DJ legt nächste Woche wieder auf!“, anstatt sich mal irgendwie auf die Ziele der Demo zu beziehen? Warum sagt man nicht mal irgendwas politisches, wenn man schon eine politische Partei ist?1
Die Abschlusskundgebung mit gut 20000 Leuten war sehr angenehm. Vito Dabisch, der Sprecher des „LandesschülerInnenausschusses Berlin“, bekam einen verdienten Extraapplaus, weil er sich an die sehr kurze Redezeit gehalten hat. Er hat eine flammende und für sein Alter sehr gute Rede über die Schülerdatei vorgetragen und musste sich dafür einige sehr dumme Zwischenrufe („Der will doch nur, dass keiner mitkriegt, dass er kifft!“) anhören, aber Engagierte wie ihn können die jugendlichen der Republik gut gebrauchen.
Franziska Heine war sichtlich extrem nervös und wollte die Bühne schon wieder verlassen, als padeluun sie als einen „Popstar“ der Bewegung vorstellte. Tatsächlich hatte sie auch vom ersten Moment an das gesamte Publikum auf ihrer Seite, obwohl ihre Stimme ganz schön schrill klang. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, denn ihre Rede war weitaus besser und daher mitreißender, als sie selbst wohl gedacht hätte.
Ähnlich war das mit Silke Lüder von der freien Ärzteschaft, Mitbegründerin der Aktion „Stoppt die eCard“: Ihre Rede war gut, kam aber über weite Teile kaum an, weil die Ärztin leider kaum jemand kannte und sie sie nicht gut vortrug. Sie sagte aber einige sehr richtige Dinge über die immensen Kosten der eCard und was man mit dem Geld für die Gesundheit der Menschen tun könnte und über das Vertrauen zwischen Arzt und Patient, das durch Überwachungsmaßnahmen zunehmend untergraben wird.
Anna Roth sprach sehr eindrucksvoll aus Erfahrung davon, wie es ist, ständig überwacht zu werden und erhielt tosenden Applaus für ihre Erklärung, dass ihr Mann trotz allem weiter über Gentrifizierung schreibt und sie sich trotz allem weiter politisch engagiert.
Monty Cantsin von der Hedonistischen Internationalen hat eine herzlich schlechte Brandrede gehalten, in der er Twitterer und Social-Network-Nutzer schwer diffamierte und ausrief, dass wir alle längst im Überwachungsstaat leben. Bei aller Richtigkeit der Idee, dass man mit dem, was man im Internet von sich preisgibt (und damit nie wieder wegbekommt), sparsam sein sollte: Dieses Rumgefluche und unreflektierte Gemotze schadet unseren Zielen doch nur.
Nach der Anschlusskundgebung ging es mit musikalischem Rahmenprogramm weiter. Mono & Nikitaman haben schon vor dem Redenteil, also quasi zum Empfang des Demozugs gerockt, padeluun kündigte sie aber schließlich nochmal in verschwörerischem Tonfall an: „Also ich find die ja gut. Uns wurden die [angeekelte Stimme] als Reggae angekündigt. [fröhlich] Aber eigentlich ist das mehr so Pogo, oder?“
Meine Güte, diese Leute haben die Demonstranten wirklich gerockt! Politische deutsche Musik, weder prätentiös noch peinlich, und dabei verdammt mitreißend. Ich dachte, das geht gar nicht. Vor der Bühne war eine Menge los und das zurecht: Demonstrant zu sein hat sich nie so gut angefühlt.
Nach ihrem Auftritt, so gegen halb neun, sind wir dann abgehauen, weils auch schon dunkel war. Insgesamt eine sehr gute und kraftvolle Veranstaltung, bei der insgesamt etwa 25000 Leute gezählt wurden.
Bei netzpolitik.org gab es schon während der Veranstaltung mehrere Berichte zu lesen, die Organisatoren sprechen von einem „vollen Erfolg“. Auch mehrere Nachrichtensendungen haben über die Demo berichtet.
Johnnys Tweet-Zusammenfassung samt seiner Fotos gibt es bei Spreeblick.
Fefe berichtet auch und fand Monty Cantsins Rede gut.
Die sehr gute Fotodokumentation des AK Vorrat gibt es in deren Wiki.
Update 1: Bei netzpolitik.org gibt es einen Videozusammenfassung der Auftaktveranstaltung.
Update 2: Auch eine Nachbetrachtung hat netzpolitik.org inzwischen veröffentlicht, inklusive Links zu allen Redetexten der Veranstaltung.
- Jens Seipenbusch erklärte mir am Rande der Mahnwache zwei Tage später, dass das in seinen Augen keineswegs unpolitisch war: Passanten habe man ja mit Flyern informiert und für die mediale Wirkung sind gerufene Parolen ohnehin nicht so wichtig wie die Plakate, Kostüme und Aktionen. Das kann man so sehen, aber als Demonstrant hätte ich mich mit etwas weniger Prodigy und etwas mehr Mottoshouting ernstgenommener gefühlt.[↩]
Moin cosmo,
ich möchte 3 Dinge loswerden:
1. ja, es lief alles ganz gut und ja, ich fand auch dass die Piraten viel zu wenig Inhalte rübergebracht haben
2. „solange die nix machen“ stimmt leider nicht. Ich komme gerade vom Treffen des AK Zensur zurück und habe dort erfahren, dass die Cops am Ende noch einen Menschen krankenhausreif geschlagen haben. Davon gibt es ein Video (das ich noch nicht gesehen habe) auf dem klar zu erkennen ist, dass der Typ sich erst eine Diskussion mit den Cops gibt, die ihn nicht mit dem Fahrrad durchlassen wollen. Anschliessend *geht er weg*, wird von einem *anderen* Cop zurückgezerrt und derbst ist Gesicht geboxt und anschließend von mehreren (!) Cops geprügelt und auf dem Boden liegend getreten. Das wird noch ein Nachspiel haben. Traurig aber wahr.
3. Deine Kamera macht an den Rändern seltsam unscharfe Fotos. Nur das Bild von dir und mir ist scharf :-) (und sehr gelungen)
PS: das Video reiche ich nach sobald ich es habe
By: daMax on 13.09.2009
at 22:10
Zu dem hässlichen Polizeivorfall habe ich lieber einen eigenen Artikel gemacht. Ich finde die Tendenz, über die Demo und diesen Vorfall zugleich zu berichten, nämlich bedenklich: Alles in Allem war das eine friedliche Demo und so schlimm diese Geschichte auch ist, verdient die Veranstaltung es nicht, mit ihr in einem Atemzug genannt zu werden.
Ich möchte eigentlich nicht, dass das im gesellschaftlichen Gedächtnis als eine „Demo mit Ausschreitungen“ hängen bleibt.
Abgesehen davon ist die Nummer wirklich übel genug, um ihrerseits nicht eine Randnotiz in einem sonst so leichtfüßigen Demobericht zu sein.
Zur Bildqualität: Ich fürchte, das Teil macht einfach solche Bilder.
Sobald ich ein neues Handy habe, gibts hier dann bessere Fotos.
By: cosmo on 13.09.2009
at 23:00
[…] Inzwischen hab ich einen Bericht über die Demo aus meiner Sicht […]
By: Freiheit statt Angst 2009: Heute in Berlin « Zivilschein on 14.09.2009
at 09:22
Ich muss dir dringend noch das „echte“ Foto zuschicken. Hoffentlich denke ich heute abend daran. Allerdings finde ich das Symbolbild ja wirklich klasse. Lass das ruhig so stehen :-)
By: daMax on 15.09.2009
at 09:25
[…] mit Jens Seipenbusch zu sprechen. Der Vorsitzende der Piratenpartei Deutschland war wegen der „Freiheit statt Angst“-Demonstration ohnehin noch in Berlin und nahm deshalb gerne auch an der Mahnwache teil. Mit mir sprach er über […]
By: Zivilschein-Interview mit Jens Seipenbusch: „Nummernkennzeichnung auch für die Polizei von Vorteil“ « Zivilschein on 15.09.2009
at 11:10
[…] Mein Bericht von eben jener „Freiheit statt Angst“-Demo […]
By: Zivilschein: Halbjahr eins « Zivilschein on 05.10.2009
at 00:29
[…] bedeutet, dass ich weder auf der FSA mitdemonstrieren kann, noch von ihr berichten werde. Jemand anders muss also für mich einspringen. Hier ist der […]
By: Was ich am elften September 2010 mache « Zivilschein on 03.08.2010
at 19:57