Verfasst von: Manuel | 10.02.2010

Copyright Overkill

Helene Hegemann hat ein Buch geschrieben. Es heißt „Axolotl Roadkill“. In den Feuilletons wurde es bei Erscheinen herauf- und herabgefeiert, dass man den Eindruck bekommen könnte, es wäre das wichtigste Stück deutscher Literatur seit Grass‘ „Blechtrommel“. Außerdem wird seither immer wieder darauf verwiesen, wie erst sechzehn Jahre die Autorin des Romans doch beim Verfassen war. Sie ist damit inzwischen in die „Spiegel“-Bestsellerliste gekommen.
Deef Pirmasens hat ihr Buch gelesen und in seinem Blog dargelegt, wie stark einige Passagen daraus Teilen des Romans „Strobo“ des Berliner Bloggers Airen oder dem Songtext von “Fuck U” der Band Archive ähneln. Kenntlich gemacht sind diese Zitate nicht, lediglich wird seit der zweiten (!) Auflage des Romans in den Danksagungen der Name „Airen“ mit aufgeführt.
Das nun hat eine erneute Welle von Berichterstattungen und Kommentaren nach sich gezogen. Dabei geht es zunehmend um Urheberrecht und Kopierkultur. Die Themen, an denen sich seit Jahren Grabenkämpfe zwischen „Digital Natives“ und den Traditionsmedien entzünden.
Lukas Heinser, der sich auf seinem Popkulturblog Coffee And TV diesen Spannungen nicht zum ersten Mal widmet, hat über die aktuelle Debatte nun einen schlechtgelaunten Text verfasst, in dem er vor Allem die „Blogger“ dafür angreift, reflexartig auf die „Totholzmedien“ einzuschlagen:

Ich frage mich, ob die Geschichte in der deutschsprachigen Netzwelt genauso hohe Wellen geschlagen hätte, wenn der “beraubte” Autor nicht gleichzeitig Blogger wäre, und liefere mir die Antwort gleich selbst: “Vermutlich nicht”. Statt sich also auf den konkreten Vorgang zu konzentrieren, wird mal wieder das übel riechende Fass “wir Blogger gegen die Nichtsblicker bei den Totholzmedien” aufgemacht und es grenzt an ein Wunder, dass sich die “#fail”s bei Twitter bisher in Grenzen halten.

Ich möchte nichts über „Axolotl Roadkill“ sagen. Nichts über seine Autorin Helene Hegemann. Nichts über das Übernehmen von Inhalten Anderer. Auch nichts über die Plagiatsvorwürfe.
Aber ich möchte kurz kommentieren, was an der Debatte, wie sie von den Traditionsmedien geführt wird, problematisch ist.

Axolotl

Der Axolotl kann nur noch verwundert gucken.

Als erstes Beispiel soll der Kommentar „Kreativität ohne Reinheitsgebot“ dienen, der, verfasst von Daniel Haas, bei Spiegel Online erschienen ist.
Bereits im Teasertext heißt es dort:

Die Plagiatsdebatte um ihren Roman „Axolotl Roadkill“ ist naiv: Publikum und Kritiker wollen hinter die Errungenschaften der Moderne zurück.

Die Plagiatsdebatte geht darum, ob Frau Hegemann für ihren Roman hätte angeben sollen, dass einige Passagen aus anderen Werken übernommen wurden. Und ob sie vielleicht im Vorhinein danach hätte fragen sollen.
Daniel Haas selbst spricht in seinem eigenen Beispiel von „die Copyrights klären“. Und das nennt er für Spiegel Online ein „Zurück hinter die Errungenschaften der Moderne“. Die „Errungenschaften der Moderne“ sind also demnach, dass man die Autoren, von denen man kopiert, nicht mehr nennen, geschweige denn fragen muss? Warum hat Haas das nicht zu Eva Schweizer gesagt, als diese letztes Jahr einen Blogger wegen eines Plagiats abmahnen ließ, der mit seinem ausgiebigen (und gekennzeichneten) Zitat den Originaltext empfehlen wollte?1
Dann vergleicht er Frau Hegemann mit William S. Burroughs. Und mit Thomas Pynchon. Ihr Roman „Axolotl Roadkill“ ist jetzt wie Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ oder John Dos Passos‘ „Manhattan Transfer“. Und ein bisschen wie Thomas Manns „Doktor Faustus“. Fast muss man dankbar sein, dass Haas nicht, wie Frau Hegemann selbst, Shakespeare, Brecht und Goethe für die Autorin ins Feld führt.
Airen dagegen ist wie… öhm… Moment. Der Autor des plagiierten Romans kommt in Haas’ Text ja gar nicht vor! Hoppla! Komisch, dabei nennt er den Namen Hegemann gleich sieben mal…
Na gut, der ist ja auch keine “Bestseller-Autorin” und kein “Shootingstar”…
Die Strategie, große, erfolgreiche Autoritäten heranzuzitieren, hilft ungemein dabei, das Handeln derer, mit denen man sie vergleicht, zu legitimieren, ohne dafür belastbare Argumente ins Feld zu führen: Wenn sogar Thomas Mann das gemacht hat, dann muss doch die Frau Hegemann das auch dürfen!2
Dass das absichtlich genutzt wird, zeigt die vollkommene Abwesenheit des Urhebers in Haas‘ Kommentar: Erfolgreiche Autoren, von denen kopiert wurde (und die damit mehr oder weniger großzügig umgingen), gab es ja auch schon zuhauf. Stattdessen erwähnt man Airen gar nicht erst, um ihn gegenüber Frau Hegemann nicht unnötig aufzuwerten.

Zweites Beispiel sei der Text „Wunderkind hat Roman im Internet geklaut“ im Tagesanzeiger.
Dessen Haltung lässt sich bereits an der Überschrift herauslesen: Frau Hegemann ist ein „Wunderkind“ – jeglicher Verdacht, dass sie womöglich auch nur mit Wasser kochen und damit vielleicht einen Fehler gemacht haben könnte, wird mit diesem Lobpreis sofort erstickt. „Geklaut“ wurde der Roman hingegen nicht etwa von einem Berliner Blogger, sondern „im Internet“, jenem anonymen Datenmoloch, der sich als diffuse Quellenangabe immer dann wunderbar eignet, wenn man eigentlich lieber gar keine Namen angeben will.
Auch dieser Artikel nennt den Namen Hegemann immerhin fünf mal und fasst ihren Roman wie die Reaktionen darauf im ersten Absatz nochmal zusammen. Airen hingegen: Keine Erwähnung. Die übernommenen Teile sind „aus dem im Internet veröffentlichten Roman ‚Strobo – Technoprosa aus dem Berghain‘ geklaut“. Abgesehen davon, dass der Roman augenscheinlich doch nur „Strobo“ heißt: Dass er „im Internet veröffentlicht“ wurde (und nicht etwa „auf folgender Website“, ganz zu schweigen etwa von der Nennung eines Verlags), suggeriert, dass der unerwähnte Urheber ja selber schuld ist – einerseits hat er seinen Roman nicht „richtig“ veröffentlicht, sondern nur irgendwo „im Internet“, andererseits ist dieser damit doch frei zugänglich und er braucht sich über sowas jetzt nicht zu wunden. Dass der Roman in Wirklichkeit bislang nirgendwo im Internet veröffentlicht wurde, sondern nur Auszüge daraus, ist ein Umstand, von dem sich der Tagesanzeiger sein schönes Gemälde von den Verhältnissen gar nicht erst beeinflussen lässt.

Als drittes und letztes Beispiel soll der Text „Originalität gibt es nicht – nur Echtheit“ von Felicitas von Lovenberg dienen, den die FAZ veröffentlicht hat.
Hier ist „Strobo“ nur ein Roman, „von dem in den Redaktionen kaum jemand gehört hat“. Von seiner Präsentation nahm „nur der (sic!) einschlägige Szene Notiz“ und „außer einigen versprengten Hinweisen im Internet bleiben auch Rezensionen aus.“ Ihn „in einer herkömmlichen deutschen Buchhandlung zu bekommen, dürfte schwierig sein; selbst Amazon hat das Werk nicht vorrätig, doch kann man es dort über die Marketplace-Funktion direkt beim Berliner Verlag SuKuLTur bestellen.“
Wenn also „kaum jemand“ in „den Redaktionen“ (welchen nochmal?) davon gehört hat; wenn nur die „einschlägige Szene“ (ab wann gehört ein Berichtender nicht mehr zu dieser?) und sonst niemand die Präsentation überhaupt mitbekomman hat; wenn das Ding nicht mal rezensiert wurde, außer in einigen (!) versprengten (!!) Hinweisen „im Internet“ (!!!); wenn es schwierig sein dürfte, ihn in einer herkömmlichen (!) deutschen (!!) Buchhandlung (!!!) zu bekommen, außerhalb derer man ja keine Literatur erwarten zu sollen scheint, und „selbst Amazon“, das ja bekanntlich keine solche, sondern eigentlich selbst „im Internet“ ist, „das Werk nicht vorrätig“ hat; was soll man denn von diesem Buch schon halten?
Während Frau Hegemann für die FAZ eine Ausnahmeautorin ist, ist Airens Verfassen und Veröffentlichen von „Strobo“ eine „alltägliche Geschichte“ mit „einem entlegenen Berliner Verlag“.
Der Plagiatsvorwurf auf „einen ungewöhnlichen Bucherfolg“ ist „so zuverlässig“ wie „fast nichts“, „wobei das heute nicht mehr Plagiat oder Abschreiben, sondern vorgangsgetreu ‚Copy-Paste-Verfahren‘ oder auch Remix genannt wird.“
Die FAZ wirft hier munter Plagiat, Abschreiben, Copy&Paste und Remix durcheinander, weil sie das alles offenbar für irgendwie dasselbe hält, obwohl es sich um völlig verschiedene Konzepte handelt. Damit rückt sie Frau Hegemanns Plagiat rhetorisch in die Nähe der viel positiver besetzten Remixkultur und rechtfertigt implizit ihr Vorgehen als völlig legitime Kulturtechnik.
Der Text ist außerdem ständig damit beschäftigt, Airen als einen stinkgewöhnlichen Emporkömmling, den man nun wirklich nicht kennen muss, darzustellen, der aus purem Neid auf Helene Hegemanns verdienten Riesenerfolg eine vorhersehbare Kampagne um das Plagiat lanciert hat. Vergleichen wir nochmal die Wendungen, mit denen die beiden Autoren umgeben werden.
Frau Hegemann: „die erst siebzehnjährige Berliner Autorin“, „auf den vorderen Rängen der „Spiegel“-Bestsellerliste“, „Preis der Leipziger Buchmesse“, „eine Ausnahme im deutschen Literaturbetrieb“
Airen: „alltäglicher“, „entlegener Berliner Verlag“, „in den Redaktionen kaum jemand gehört“, „Buchpräsentation in einer Münchner Underground-Bar, von der nur der (sic!) einschlägige Szene Notiz nimmt“, „versprengte Hinweise im Internet“, „Autor, der sich Airen nennt“, „Berliner Techno- und Drogenszene“, „bis zum Exzess und inklusive mehrmaliger Verhaftungen“
Wem müssten wir jetzt eher kulturell integres Verhalten zutrauen?
Im letzten Abschnitt heißt es dann:

Möglicherweise wird die Rezeptionsgeschichte des Romans nun allerdings auch davon handeln, wie nahtlos der Übergang von Opfer zu Täter sein kann und so einen Reifeprozess gerade in jenem Bereich einläuten, wo bisher in Urheberrechtsfragen nur Chaos herrscht – im Internet.

Ja, möglicherweise wird der Autor, der sich Airen nennt, und der jetzt von Allen als armes Opfer behandelt wird, gerade zum fiesen Täter. Zum Täter! Hat sich das schon mal jemand überlegt? (Update: Dieser Satz ist womöglich anders gemeint, als ich ihn verstanden habe.)
Dann könnte nämlich endlich mal „im Internet“ ein längst überfälliger Reifeprozess stattfinden. „Da“ herrscht schließlich bisher nur Chaos. Nur! Chaos!
Über den Literaturbetrieb oder den Journalismus hingegen könnte man natürlich niemals so reden – und wenn, dann würde man natürlich Belege dafür angeben…

Zusammengefasst: In dieser Debatte wird in der Tat ein „übel riechende Fass“ aufgemacht, wie Lukas Heinser erkennt. Allein, nicht wird hier von „der Netzgemeinde“ blind auf „die Totholzmedien“ eingedroschen (zumindest nicht nur – ich habe aber noch keinen blind dreinschlagenden Text gegen die traditionellen Medien in der Sache gelesen und das Wort „Totholzmedien“ ist mir hier auch bislang nur auf „Coffee And TV“ untergekommen); wirklich hässlich ist der Automatismus, mit dem die großen, reichweitenstarken Medien die plagiierende Autorin in Schutz nehmen und den Urheber der übernommenen Passagen verächtlich machen.

Die Doppelmoral der deutschen Medien, die gewöhnlich für eine Verschärfung des Urheberrechts und seine härtere Durchsetzung eintreten, hier aber „Remixkultur!“ und „Errungenschaften der Moderne!“ rufen, wird auf Netzwertig.com sehr scharf analysiert.

Update: Dem SpOn- und dem FAZ-Text widmete sich gestern schon Wolfgang Tischer im Literaturcafé mit ähnlichem Ergebnis (Link via Bildblog).

Dieser Artikel basiert auf einem Kommentar von mir unter Lukas‘ Artikel und ist damit sozusagen sein Maxi-Remix.


  1. Mein Tipp: Weil der Abschreiber da der Blogger war und die Urheberin auf der Seite der traditionellen Journalisten, also andersherum als jetzt. []
  2. Auch Lukas Heinser verfällt in dieses Muster: Er führt Georg Büchner mit seiner Novelle „Lenz“ und Johann Wolfgang von Goethe an und zitiert noch einen Aphorismus von Oscar Wilde, den er selbst „erst seit Tocotronic weiß“. []

Antworten

  1. Das Opfer/Täter-Zitat von FAZ.net bezieht sich in meinen Augen auf Hegemann. Zumindest, wenn man den vorangehenden Satz dranlässt:

    „„Axolotl Roadkill“ schildere „das unglücklich bis wütende Coming-of-Age-Gefühl, Opfer in einem Chaos zu sein, das man selbst nicht verschuldet hat“, heißt es in der Zusammenfassung des Buchs von Deef Pirmasens.“

  2. Hier spricht mir jemand aus der Seele und ich bedanke mich. Das Herr Haas nicht der Objektivste ist (da sein Roman im gleichen Verlag erschienen) ist klar, aber dass er mit der Ausrede kommt: das wurde doch schon gemacht, ist nicht nur lächerlich, sondern kindisch und erinnert doch sehr an die Kinderausrede: Die andern haben es auch alle gemacht. Das Hegemann selbst mit Goethe und Shakespeare kommt, zeigt, in welcher Notlage sie sich befindet und wie sie versucht sich herauszureden. Ernstnehmen kann ich deswegen ihre Entschuldigung nicht.

  3. @Lukas
    Vielen Dank für den Hinweis, das macht Sinn. Ich war tatsächlich unsicher, wer mit der Täterwerdung da gemeint ist (vielleicht ist das gar nicht so unbeabsichtigt?), aber deine Lesart funktioniert besser. Ich hab darauf mal oben hingewiesen.

  4. […] die Autoren und die Blogger. Ein paar weitere Artikel zum Thema finden sich im Literaturcafe und hier. Mittlerweile hat sich die Diskussion ausgeweitet und dreht sich hauptsächlich um das Handhaben […]

  5. Passend dazu: „Die FAZ und der doppelte Hegemann“

    http://carta.info/22746/die-faz-und-der-doppelte-hegemann/


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