Verfasst von: Manuel | 03.08.2009

Zivilschein-Interview (3): Florian Don-Schauen

Letzten Monat war Florian Don-Schauen für zwei Wochen in Berlin, um am „Drakensang“-Nachfolger „Am Fluss der Zeit“ mitzuarbeiten. Ich aß mit dem freischaffenden Textsöldner eine Currywurst in Kreuzberg, bevor wir uns bei einem Abstecher in eine Kneipe eine Weile über dies und das unterhielten.

Der 1964 geborene Sohn eines Schauspielerehepaars absolvierte in Frankfurt ein Studium als Querflötenlehrer und schulte dann zum Unix-Programmierer um. Mitte der Neunziger begann er, als Autor, Lektor und Redakteur maßgeblich das wichtigste deutschsprachige Rollenspiel „Das Schwarze Auge“ mitzugestalten. Nach dem Tod des DSA-Erfinders Ulrich Kiesow im Januar 1997 übernahm er von diesem gemeinsam mit Thomas Römer die Chefredaktion, in der er bis September 2008 die Entwicklung des Rollenspiels mitbestimmte. Zuweilen steht er Amber bei ihren CD-Aufnahmen und Livekonzerten zur Seite, außerdem trägt er auch in der Selbständigkeit weiter zur DSA-Welt Aventurien bei.
Mit mir sprach der Wahl-Neanderthaler unter anderem über seinen neuen Roman, den „Drakensang“-Nachfolger und die Zukunft von Tisch- und Computerrollenspielen.

Zivilschein: Florian, du bist momentan selbständig. Woran arbeitest du zur Zeit?

Florian Don-Schauen: Aktuell arbeite ich am Prequel zu „Drakensang“, dem ersten DSA-Computerspiel seit sehr langer Zeit. Teil eins ist erschienen, als ich selbst noch in der DSA-Chefredaktion war. Da hatte wenig mit dem Spiel selbst zu tun. Für „Am Fluss der Zeit“ bin ich engagiert worden, einen Roman zum Computerspiel zu schreiben, der in der gleichen Zeit erscheinen wird.
Dadurch habe ich Kontakt zu Radon Labs bekommen. Die haben mich dann eingeladen, das Spiel auch auf seine DSA-Tauglichkeit zu überprüfen.

Z!: Du hast das Computerspiel quasi lektoriert?

FDS: Genau. Ich habe nach allem gesucht, was nicht ganz nach Aventurien passt, oder ungenau oder schief verwendet wird. Ich muss aber sagen, dass das Spiel sehr umfangreich ist und ich wirklich nur Teile abklopfen konnte. Dazu kam, dass kurzfristig ein Autor ausgefallen ist – und da Schreiben ohnehin eine meiner Beschäftigungen ist, habe ich auch zu den Texten einiges beigesteuert.

Z!: Worauf müssen wir uns da gefasst machen? Hat man sich ans Aventurienbild gehalten?

FDS: Man hat sich an das Aventurienbild sehr gut gehalten.
Natürlich ist ein Computerspiel aber ein anderes Medium – und jedes Medium muss anders mit gewissen Dingen umgehen. Die einzelnen Lokalitäten sind so geschrieben, dass sie für ein Computerspiel interessant sind. Eine Burg oder eine Festung, die eigentlich aventurisch keine große Bedeutung hat, ist als Lokalität in diesem Computerspiel riesig. Das wäre so für Aventurien eine Nummer zu groß, aber für die Möglichkeiten eines Computerspiels ist es sehr gut gelungen. Da muss man der Tatsache Rechnung tragen, in welchem Medium man sich bewegt.
Der Kompromiss aus Computerspiel und dem eigentlich als Tischrollenspiel geplanten DSA ist dabei sehr gut gelungen.

Z!: Es gibt immer wieder Bedenken, was die Regeltreue im „Drakensang“-Nachfolger betrifft. „Drakensang“ selbst stützt sich auf das DSA4-Regelsystem, das im Grunde so übernommen wurde, aber gewissen Anpassungen unterworfen wurde: Das Vor- und Nachteilesystem, die Charaktergenerierung…
Du hast selbst jahrelang an den DSA-Regeln maßgeblich mitgearbeitet. Findest du, diese werden hinreichend gewürdigt?

FDS: Auch hier: Man muss verstehen, dass das unterschiedliche Medien sind. Es ist am Computer nicht möglich, ein vollständiges Tischrollenspielregelsystem abzubilden. Das funktioniert nicht. Es ist auch nicht sinnvoll. Alle Möglichkeiten, die berücksichtigt werden müssten, mit einem Computerspiel abzufangen, lohnt sich einfach nicht.
Man muss vielmehr die Sache deutlich vereinfachen, auch um die Variationen im Spiel in Grenzen zu halten. Alles, was das DSA4-Regelsystem bietet, wäre viel zu umfangreich für ein einzelnes Abenteuer, wie es ein Computerspiel ja letztlich ist. Deswegen wäre es in meinen Augen völlig blödsinnig gewesen, das vollständige Regelsystem abbilden zu wollen.
Für die Kämpfe beispielsweise hätte man meinetwegen sogar noch etwas mehr von den Tischrollenspielregeln abweichen können. Eine Kampfrunde dauert laut Regeln etwa drei Sekunden, am Tisch spielt man zehn Minuten daran, weil jeder der Reihe nach dran ist und am Ende geht es wieder von vorne los. Diese Diskrepanz ist in einem Spiel, das in Echtzeit abläuft schwer aufzulösen. Das ist aber sicher Geschmackssache, bestimmt gibt es auch Leute, die das so gut finden – gerade Tischrollenspieler.

Z!: Du hast die Medien-Thematik schon angesprochen, wegen der DSA-Umsetzung: Seit 25 Jahren ist DSA sehr beliebt als Tischrollenspiel, als Miniaturenspiel, in Romanen, von denen inzwischen über 100 erschienen sind
„Am Fluss der Zeit“ wird das fünfte DSA-Computerspiel sein. Funktioniert Aventurien auch am Computer?

FDS: Aspekte von Aventurien funktionieren am Computer. Aventurien ist etwas unheimlich Vielseitiges, mit vielen unterschiedlichen Aspekten – wie Rollenspiel an sich viele unterschiedliche Aspekte hat. Vor kurzem habe ich die finalen Texte für „Wege des Meisters“ an den DSA-Verlag Ulisses abgegeben, einen Leitfaden für Spielleiter, der aufzeigt, was für Möglichkeiten es gibt, ein Abenteuer zu leiten. In dem Zusammenhang habe ich mich sehr intensiv mit verschiedenen Spielstilen auseinandergesetzt und dabei gelernt, dass Rollenspiel und Rollenspiel zwei völlig unterschiedliche Sachen selbst am Tisch sind. Jeder Rollenspieler, jeder Spielleiter hat seinen eigenen Stil.
Aventurien versucht natürlich, möglichst viele Stile zu bedienen.
„Am Fluss der Zeit“, so wie es ist, hat gewissermaßen auch einen bestimmten Stil, den es bedient. Und der funktioniert auch.
Wenn man akzeptiert, dass ein Computerspiel eben ein Computerspiel ist, funktioniert Aventurien auch da. So wie Aventurien auch als Hintergrund für Romane funktioniert, für Hörspiele funktioniert oder womöglich auch für einen Film funktionieren würde, wenn das vom Etat machbar wäre.

Z!: Wir haben in DSA-Abentuern schon sehr Experimentelles erlebt, das vom üblichen „Holt diesen Gegenstand oder „Besiegt diese Person“ abweicht. „Die Herren von Chorhop“ zum Beispiel versetzt die Spieler in die Situation, ein hohes Amt einer großen Stadt zu erhalten und weicht damit vom „klassischen“ Rollenspiel ab. Am Computer haben wir hingegen, was Fantasy betrifft, fast nur Rollenspiele. Immer steuert man Helden durch irgendwelche Dungeons.
Warum haben wir keine Wirtschaftssimulationen, wo wir das Fürstentum Kosch leiten können oder Liebfelder Wein anbauen?

FDS: Solche Ideen hat es durchaus schon gegeben, es hat schon Leute gegeben, die sowas versucht haben. Es gab im Lauf der letzten 15 Jahre auch 1W20 unterschiedliche Versuche, DSA-Computerspiele zu programmieren, die aus den unterschiedlichsten Gründen gescheitert sind. Das von dir schon erwähnte Miniaturenspiel zu DSA, Armalion, ist wirklich ein Schlachtenspiel, wo man Einheiten gegeneinander losschickt. Es sollte dieses Armalion-Computerspiel geben, wo es wirklich um Schlachten ging, aber um das interessant zu machen, wurde ziemlich weit von DSA Abstand genommen, weil es dort eigentlich wenig Hintergrund für wirklich schöne Schlachten gibt.
Ich glaube, dass das Problem an Wirtschaftssimulationen oder Aufbauspielen ist, dass sie in anderen Hintergründen einfach interessanter unterzubringen sind, als im DSA-Hintergrund. Wenn man eine entsprechende Simulation schreibt, dann ist DSA wohl einfach nicht der ideale Hintergrund dafür, und deswegen hat sich das nicht durchgesetzt.
Es gibt sogar als Brettspiel eine Risiko-Variante in Aventurien. Das sind natürlich interessante Ideen, aber meistens sind das nur Aufsätze. Ich habe sogar von einer DSA-Variante für Civilization gehört. Das ist alles möglich, aber ein eigenes Spiel vor historischem Hintergrund ist nichts, wo Aventurien anderen Welten überlegen ist. Bei Abenteuerspielen hingegen bietet Aventurien einfach sehr viele Verknüpfungen und Hintergründe. Deswegen liegt es nah, eine Welt, die viele schon am Spieltisch in Abenteuern erlebt haben, in einem Computerspiel ebenso zu interpretieren.

Z!: Aber würdest du nicht gerne ein Donnersturm-Rennspiel sehen?

FDS:Need for Speed: Aventurien“?

Z!:Grand Theft Postkutsche“!

FDS: Das wäre sicher ein sehr spannendes Projekt. Eine Quadriga vernünftig zu animieren ist aber sicher schwieriger als irgendeinen Rennwagen. Vielleicht würde es daran scheitern.
Aber andersherum wollen vermutlich die meisten Leute lieber einen coolen Rennwagen fahren als eine Quadriga. Sowas könnte man mal als Teil eines Computerabenteuers unterbringen: „Nimm am Wagenrennen in der Arena von Gareth teil!“ Das wäre sicherlich ein spannendes Element.
Aber als vollständiges Computerspiel sehe ich sowas nicht.

Z!: Kommen wir nochmal zurück zu deinem Roman. Das wird ein Roman zu „Am Fluss der Zeit“ sein. Erzählst du die Geschichte des Spiels nach?

FDS: Nein. Das fände ich langweilig. Das wäre weder erzählerisch interessant, noch für Leute interessant, die das Spiel selbst spielen und die Story schon selbst erleben. Für mich als Autor wie auch für die Leser wäre sowas unattraktiv.
Es ist eine Geschichte, die zeitlich parallel läuft und ein paar Details zum Hintergrund erzählt, die im Computerspiel nicht erzählt werden können – einfach, weil es Hintergrund ist, der für die Abenteuerhandlung selbst nicht akut wichtig ist. Es gibt ein paar Querverbindungen und Verknüpfungen, es gibt Personen, die sowohl im Computerspiel als auch im Roman auftauchen. Das hat mich bei der Erstellung der Story vor ziemliche Probleme gestellt: Schöne, wichtige Figuren aus dem Computerspiel tauchen im Roman auf, aber ich kann ihre Geschichten nicht fertigerzählen, weil diese eben ein Ende im Computerspiel finden. Diese Personen interessant zu machen, sie aber trotzdem nicht für den Leser unbefriedigend zurückzulassen, ist ein Problem, denn ich will ja jemandem, der den Roman kennt, nicht aber das Computerspiel, nicht das Gefühl geben, dass ihm etwas fehlt.

Z!: Siehst du durch dieses Projekt – im Rahmen von „Am Fluss der Zeit“ wird es noch andere Neuerscheinungen geben, unter anderem ist da ein Regionalband zum Kosch in Arbeit – die Hoffnung, dass das Rollenspiel in Deutschland dadurch wieder Auftrieb erfährt?

FDS: Das ist eine Hoffnung, die ich allerdings nicht für sehr groß halte. Ich muss dazu sagen: Wenn man heutzutage Tischrollenspieler fragt, wie sie zu DSA gekommen sind, erzählen sehr sehr viele – gerade von denen, die schon länger dabei sind -, dass sie damals durch die früheren Computerspiele, die „Nordlandtrilogie“ dazu gekommen sind.
Andererseits ist es so, dass durch „Drakensang“, das ja nun schon eine Weile auf dem Markt ist, keine messbare Erhöhung der Verkaufszahlen bei Printrollenspielen stattfindet. Natürlich gibt es immer das Problem, dass man nicht genau erkennen kann, wie genau sich die Zahlen warum verändern. Man trifft immer Annahmen, die vielleicht richtig sind.
Ich fände es schön, wenn wieder ein paar Leute über diese Schiene zum Tischrollenspiel kämen, aber inwieweit das wirklich passieren wird… Ich möchte da keinen Nostradamus spielen.
Ich kanns nicht sagen.

Z!: Denkst du, es kann eine Verlagerung von Aventurien zum Computerspiel hin stattfinden? Sodass das, was am Tischrollenspiel schwächelt, als Computerspielreihe – neben „Drakensang“ gibt es ja von Silver Style noch das „Demonicon“-Projekt – besser funktionieren kann?

FDS: Ich glaube nicht, dass die DSA-Computerspieler DSA schwächen werden. Ich glaube, dass Computerspiele insgesamt Tischrollenspiel schwächen, weil sie manche Vorteile haben: Ich kann mich jederzeit einfach vor den Computer setzen und muss nicht darüber nachdenken, mit wem ich mich wo treffe. Die anderen sitzen an ihren Computern, oder ich treffe sie einfach in der World-of-Warcraft-Welt oder treffe sie dort eben nicht und es ist auch egal, weil irgendjemand immer da ist. Ich muss nicht nach Terminen suchen, ich muss nicht die Chips organisieren oder wer kocht und dergleichen mehr. Organisatorisch ist das alles viel einfacher. Es gibt auch weniger vorzubereiten, weil kein Spielleiter sich ein Abenteuer ausdenken oder ausarbeiten muss. Die ganze Sache ist wesentlich konsumfreundlicher. Während Tischrollenspiel immer viel aufwändiger für alle ist.
Den ganz großen Vorteil haben Online-Rollenspieler. Aber ich glaube nicht, dass Spiele wie „Drakensang“ dem Tischrollenspiel viel wegnehmen. Das ist einfach ein anderes Genre. Sicherlich transportiert „Drakensang“ jedoch den Reiz an der Welt Aventurien mit und bringt vielleicht Interesse an ihr.

Z!: Was siehst du als Herausforderungen für das Rollenspiel an? Was braucht das Rollenspiel noch, was in Zukunft angepackt werden muss?

FDS: Eine Möglichkeit, Rollenspiel einsteigerfreundlich zu machen. Es gibt seit etwa zehn Jahren in Deutschland kein wirklich interessantes Rollenspiel, mit dem man einfach losspielen kann, so wie es früher war. Bei dem man nicht erst 200 Seiten lesen und verstehen muss, bevor man die erste Spielrunde leiten kann. Es gibt da verschiedene Versuche in verschiedene Richtungen, die aber alle an zwei Problemen kranken: Die einen sind einfach zu kompliziert, zu aufwändig, zu komplex für Leute, die nur mal reinschnuppern wollen. Die anderen sind in ihren Hintergrundwelten zu extrem. Endzeitrollenspiele oder Rollenspiele, wie die „Welt der Dunkelheit“, die in ihren Grundregeln sehr einfach ist, aber einen Hintergrund hat, der Anfänger nicht gerade anspricht.
Ein solches Projekt, mit dem man Einsteiger wieder leichter zum Tischrollenspiel bringt, wäre ein wichtiges Vorhaben für die nächste Zeit.

Z!: Vielen Dank für das Interview, Florian!


Antworten

  1. […] […]

  2. Gibt es schon etwas genaueres zur erwähnten Regionalspielhilfe Kosch?

    • Lass mich mal so sagen: Dieses Jahr wird von dem Ding wohl kaum was zu sehen sein und ich bin wirklich kein Insider.
      Insofern ist es wahrscheinlich eine bessere Idee, auf der Ratcon jemanden zu fragen, der dazu mehr zu sagen hat als ich.

  3. […] Noch während ich den letzten Jubiläumsartikel geschrieben hab, schossen die Visits für mein Interview mit Florian Don-Schauen in die Höhe. Nachdem der Artikel bei alveran.org verlinkt wurde, war er ziemlich schnell der […]

  4. […] hatte: Zwar hat das den Besucherrekord an einem einzelnen Tag, den mein vorheriges Interview (mit Florian Don-Schauen) gestellt hat, nicht überboten und bislang hatte letzteres auch etwa doppelt soviele Hits – […]

  5. […] Tatsächlich hat sich im Juni ein Tableau etabliert, aus dem nur der August (der Monat mit dem Don-Schauen-Interview) mit über 80 Views pro Artikel raussticht. Davon abgesehen bleibt es bei etwa 72 Views pro […]

  6. […] Don-Schauen vom Chefredakteur zum ‘normalen’ Redaktuer wurde, gab er Zivilschein ein Interview über seine aktuelle Arbeit, über DSA, und über die Zukunft des Rollenspiels im Allg…. […]

  7. […] eingetreten ist und stets ein simples Regelwerk zum Sofort-Losspielen wollte: Florian Don-Schauen. Wie er mir selbst gegenüber sagte, ein halbes Jahr vor seinem Abschluss mit der DSA-Redaktion: Es gibt seit etwa zehn Jahren in […]

  8. […] ausgewählten Beiträge haben es was Umfang und Recherche/Verlinkungen angeht in sich. Neben einem Interview mit dem ehemaligen DSA-Autor und Redakteur Florian Don-Schauen sind vor allem die zwei Beiträge zu den jüngsten DSA-Entwicklungen um Mark Wachholz Kündigung […]

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